Weg-Wort vom 12. September 2006
Wo die Seele wohnt
Ihr habt hier alles, was ihr zum Leben braucht für meine Verhältnisse
sogar im Überfluss. Und dazu ein wunderschönes Land. Dennoch sehe ich so oft
gestresste und missmutige Menschen. Viele mit verhärmten und eher traurigen
Gesichtern. In meinem Land wissen wir oft nicht, womit wir uns am nächsten
Tag ernähren. Dennoch lachen wir viel, sind fröhlich, singen und tanzen.
Wenn ich keine Angst um mein Leben haben müsste, würde ich am liebsten noch
heute zurück in meine Heimat gehen. Beim letzten Satz traten dem jungen
Mann, einem abgewiesenen und untergetauchten Asylbewerber, Tränen in die
Augen.
Wie dieser Mann aus Afrika würden wohl alle, die bei uns Schutz und Hilfe
suchen, in ihrer Heimat leben wollen, wenn sie nur könnten. Wie gross müssen
ihre Ängste, ihre Verzweiflung und Not sein, dass sie die geliebte Heimat
verlassen, ihr Leben riskieren und oft unmenschliche Strapazen auf sich
nehmen, um hierher zu kommen. Um hier dann nur die Fremden zu sein. In
steter Ungewissheit über ihr weiteres Schicksal. In der belastenden Sorge um
das Leben ihrer Freunde und Angehörigen. Mit der seelischen Zerrissenheit
durch die Entwurzelung und das Heimweh.
Diese Menschen begehen keinen Missbrauch, wenn sie bei uns Schutz und Hilfe
suchen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen. Sie haben das Recht, ein Gesuch zu
stellen und zu erwarten, dass es angemessen und fair geprüft wird. Und das
heisst auch, dass wir sie während ihres Aufenthaltes auf Zeit nicht noch
zusätzlich demütigenden Umständen aussetzen, sondern menschlich würdig und
sinnvoll am Leben hier bei uns teilnehmen lassen.
Jeder Mensch hier wie dort braucht ein Existenzminimum und eine minimale
Lebensperspektive. Mit einer attraktiven Rückkehrhilfe, einer wirkungsvollen
Entwicklungshilfe sowie einem fairen und gerechten Handel können wir dazu
beitragen, dass die Menschen in ihrem eigenen Land ein Auskommen und eine
Zukunft haben. Dann werden sie da bleiben, wo ihre Heimat ist und ihre Seele
wohnt.
© Bahnhofkirche
Hauptbahnhof Zürich
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Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Sr. Anna Affolter, Sr. Zoe Maria Isenring, Hans-Ruedi Rüfenacht
Evangelisch-reformierte und Römisch-katholische Kirche