Das Weg-Wort – Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich
Weg-Wort vom 26. August 2021
Zauber der Leere
«Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.»
Diese Zeilen aus dem Gedicht «Stufen» von Hermann Hesse deuten auf das Wunderbare im Neuen. Einen Zauber gibt es – so glaube ich –
auch im Abschied zu entdecken. Zumeist wird er nicht so enthusiastisch begrüsst, ist oft mit schmerzhaften und traurigen Gefühlen verbunden. Es ist ein herber und kantiger Zauber, der nicht leicht bei uns ankommen und wirken kann.
Verlust reisst eine Lücke in das gewohnte Leben, erschüttert es mehr oder weniger, von einer kurzen Trauerwelle bis zum völligen Umwerfen
des Lebens. Im Allgemeinen vermeiden wir die Leere und streben danach, sie so rasch wie möglich irgendwie zu füllen.
Wenn wir uns diesem Nichts stellen, kann ein Zauber wirken, der kein billiger Trost ist, vielmehr eine Erfahrung von Menschen, die
sich berühren lassen: Vorläufige Ziele und Sicherheiten fallen weg. Dafür öffnet sich das Herz für ungeahnte Tiefe und eine leidenschaftliche Hingabe an das Leben.
In der Bahnhofkirche nehmen wir Abschied vom Kunstwerk LAPIS SOLARIS, das seit 21. Mai im Raum der Stille zu Gast war, als Bereicherung
der besinnlichen Atmosphäre. Nun ist das Werk weitergezogen und wird einen Monat lang in der Titus-Kirche Basel zu sehen sein. Die entstandene Lücke wirken zu lassen, ist eine Chance für uns Seelsorgenden und für die Besuchenden. Wie das Kunstwerk selbst weist
die Leerstelle auf Weite und Unermesslichkeit hinter den Dingen hin und lädt ein, dem Göttlichen ganz zu vertrauen.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
© Ökumenische Bahnhofkirche im Hauptbahnhof Zürich
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