Das Weg-Wort – Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich!
Weg-Wort vom 18. März 2021
Essen, trinken, lieben
«Auf, iss dein Brot mit Freude, und trink deinen Wein mit frohem Herzen […] Geniesse das Leben mit einer Frau, die du liebst…»
Dieser frohe Aufruf zum Lebensgenuss steht in der Bibel; im Buch Prediger. Das Buch ist erstaunlich modern und von phänomenaler Nüchternheit! Eine Person – eben «Prediger» genannt – rechnet hier mit der Weisheitslehre
ihres Volkes Israel ab. Ihr Fazit: «Nichtig und flüchtig, alles ist nichtig.» Ging Israel lange davon aus, dass Gott die Welt so eingerichtet habe, dass das Gute sich lohne und verwerfliches Handeln bestraft werde, so erkennt dieser Mensch jetzt: «Da ist ein
Gerechter, der zugrunde geht in seiner Gerechtigkeit, und da ist ein Ungerechter, der lange lebt in seiner Bosheit»(Pred 7,15). Und später: «[…] Zeit und Zufall treffen sie alle» (Pred 9,11).
Offensichtlich ist das Leben anders, als man lange glaubte. Und offensichtlich ist Gott anders. Wenn man das so ernst nimmt wie die Prediger-Person, dann sind die Folgen einschneidend: Gott wird als unnahbar und
fern erlebt. Und das Leben ist dem Zufall ausgeliefert. Man glaubt noch an Gott, aber sein Wirken – und noch mehr Gott selbst – sind nicht mehr zu verstehen. Der Glaube hat seine Unschuld verloren. Die Welt ist entzaubert.
Berührend, was dieser Mensch aus seinen Erkenntnissen macht. Resigniert er? Wird er zum kalten Zyniker? Nein. Er wendet sich dem zu, was offenkundig vor ihm liegt und sehr direkt gut tut: Essen, Trinken, Kleidung,
Liebe. Das gilt es ganz und gar zu geniessen. Nicht als Flucht, sondern als konkret erlebbares Geschenk: «Und wenn irgendein Mensch bei all seiner Mühe isst und trinkt und Gutes geniesst, ist auch dies ein Geschenk Gottes.» (Pred 3, 13)
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
Abbildung: Arnold Böcklin, Venus Genitrix, 1895, Kunsthaus Zürich, Zürich. Quelle:
www.wikipedia.org
© Ökumenische Bahnhofkirche im Hauptbahnhof Zürich