Weg-Wort vom 13. Juli 2010
Bei sich daheim
Heute Abend möchte ich mich besuchen. Ich bin gespannt, ob ich daheim bin.
Dieses humorvolle Wort des Komikers Karl Valentin hat mich amüsiert und
zugleich zum Nachdenken verleitet.
Immer wieder mal passiert es mir, dass ich mit meinen Gedanken weit weg bin.
Wenn meine Kinder das feststellten, fragten sie mich manchmal: Bisch
dihei? Natürlich störte es sie, wenn ich mit meinen Gedanken abschweifte,
anstatt ganz mit ihnen zu sein. Ähnliche Erfahrungen machen wir wohl alle.
Es gibt Menschen, die keinen angemessenen Zugang zu ihrem Inneren haben. Ihr
Leben besteht zur Hauptsache aus Arbeit, Hobbies, Vergnügungen und sonstigen
Zerstreuungen. Sie sind überall da mehr daheim als bei sich selbst. Auf die
Frage, wie sie sich fühlen, folgen zumeist nur Berichte über ihre Arbeit,
ihre Hobbies und besonderen Erlebnisse. Sie vermögen kaum auszudrücken, wie
es ihnen damit ergeht, was sie dabei fühlen und empfinden, was das alles für
sie bedeutet.
Wie aber kann man sich selber besuchen, zu sich heimkommen? Es ist eine
Kunst, wirklich bei sich zu sein. Man kann das einüben. Ich kann es am
besten an ausgewählten Orten an meinen Lieblingsplätzen in der freien
Natur, beim Joggen oder Zug fahren, in einer Kapelle oder zu Hause. Dazu
gehört für mich:
Tief durchatmen, ruhig, regelmässig. Meinen Körper spüren. Verspannungen
wahrnehmen. Gefühle zulassen. Alles, was ich in mir bemerke, beobachten,
annehmen und damit sein. Meistens stellt sich mit der Zeit eine immer
grössere Ruhe in mir ein. Manchmal empfinde ich dabei einen tiefen inneren
Frieden. Fühle ich mich ganz daheim und geborgen.
Unsere Seele braucht unsere ganz privaten Besuche, soll sie nicht
verkümmern. Möglichst täglich. Erst bei mir daheim, in der Stille und
Geborgenheit meiner Seele vermag ich wirklich zu hören mich selbst, meine
Mitmenschen und auch Gott.
Wir wünschen Ihnen einen guten und gesegneten Tag!
Die Seelsorgenden der Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
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