Weg-Wort vom 24. November 2009
Sterben lernen
Wir leben in einer Kultur der Jugendlichkeit. Massenweise Geld fliesst in
Kosmetik und neuerdings Chirurgie. Alles nur zum Zwecke der Jugend. Wenn ein
Mensch alt wird, gilt er nicht nur als hässlich, sondern auch als wertlos.
Keine Arbeitskraft mehr, kein Wert. Welchen Wert hat ein alt gewordenes
Leben? Welche Schönheit ein alt gewordener Leib?
Natürlich sind die als Senioren bezeichneten Alten auch Konsumenten. Ganze
Reisebüros leben von ihrem Geld. Aber auch diese Form der Beachtung hat
nichts mit Achtung zu tun. Da geht es um Geldflüsse und Lügen. Welchen Wert
hat ein alt gewordenes Leben? Ein alt gewordener Leib? Welchen Wert hat der
Tod in meinem Leben? Ich will nicht mehr mitmachen beim Verdrängen und
Entwerten. Ich spüre, dass mir etwas fehlt.
Was habe ich gegen die Vorstellung der Auferstehung des Leibes? Was habe ich
gegen den Gedanken, dass ich sterblich bin? Warum habe ich so viel Angst
vorm Tod? Warum renne und laufe, hetze und kämpfe ich so?
Ich möchte sterben lernen, mitten im Leben. Loslassen lernen. Aufhören.
Verzichten. Abschied nehmen. Mitten im Leben und auch am Ende. Das will ich
lernen. Aber nicht, um zur Gleichgültigkeit zu finden, zur anteilnahmslosen
Gelassenheit der Immerzufriedenen. Nein. Sondern um zu dem Leben geboren zu
werden, das nichts mehr einsperren, festlegen, fesseln und ausbeuten muss,
um die eigene Lebendigkeit zu spüren, die in der Verantwortung für Gottes
Schöpfung gipfelt. Ich möchte mitten unter meinen Geschwistern leben als
einer, der die Freiheit zulassen kann. Ich möchte den Tod umarmen lernen, um
mein Altern zu lieben und den Wahn zu lassen, alles beherrschen zu wollen.
Damit mich Gott wieder überraschen kann.
Um lebendig zu sein, muss das Samenkorn sterben. Das gilt auch für mein
Leben. Der Tod verliert seinen Schrecken. Vielleicht gelingt es mir, ihn,
wie der heilige Franziskus es getan hat, als Bruder Tod anzusprechen. Dann
kann ich leben.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
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