Das Weg-Wort - Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich!
Weg-Wort vom 12. Juni 2019
Ein ungewöhnlicher Mann
Mein Vater war ein ungewöhnlicher Mann. Jeden Samstag hat mein Vater unser kleines Haus von oben bis unten mit dem Staubsauger geputzt. Dabei ging er gründlich vor. Alle Ecken und die Polstermöbel wurden mit der Aufsteckdüse und Aufsteckbürste gereinigt, Spinnweben an der Decke hatten keine Chance gegen meinen aufmerksamen Vater. Dabei war er nie pedantisch, sondern nur gründlich und nie in Eile.
Mein Vater hat mit aufgekrempelten Hemdsärmeln, die Hose von schmalen Hosenträgern gehalten, die Badewanne und Fliesen im Bad geschrubbt und sogar das WC hat er in Angriff genommen. Dabei kam auch eine lange Bürste in die Abflüsse, aus denen er die langen Haare der Frauen in der Familie herausgezogen hat.
Am Sonntag hat er nach Verwandtenbesuchen die riesigen Geschirrmengen tadellos abgespült und wir Kinder standen mit dem Geschirrtuch bereit.
Ich hatte nie den Eindruck, dass mein Vater meiner Mutter hilft, dass er sie also quasi bei ihrer Arbeit entlastet oder dass er Frauenarbeit macht. Es war seine Hausarbeit, die er verrichtet hat und ich habe ihm gerne dabei zugesehen, weil er sie gerne gemacht hat und das, obwohl er die ganze Woche hindurch gearbeitet hat.
Ich habe durch ihn erlebt, dass man jede Arbeit mit Hingabe, Freude und Ruhe angehen kann. Aus diesem Grund habe ich ihm auch gerne geholfen.
Am Abend haben meine Eltern ihr Weizenbier gemeinsam genossen. Andere Männer sassen da schon lange in der Wirtschaft.
Mein Vater ist 1924 geboren. Die Rollenaufteilung zwischen Mann und Frau war in seiner Generation klar. Mein Vater konnte beide Rollen ausfüllen. Dadurch war er ein ganzer Mann.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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