Weg-Wort vom 27. Oktober 2010
Barmherzigkeit statt Gerechtigkeit
Gerechtigkeit dieses Wort braucht sie immer wieder. Und wovon die Frau
berichtet, ist Streit, von einem endlosen Streit mit ihren Geschwistern. Er
dauert schon mehr als dreissig Jahre. Und alle sehnen sich nach
Gerechtigkeit.
Mir kommt da eine alte Legende in den Sinn. Ich erzähle sie der Frau:
Eine alte Legende erzählt von zwei Mönchen, die Streit miteinander haben.
Sie können sich nicht einigen, denn jeder von beiden fühlt sich im Recht.
Schliesslich tragen sie dem Abt ihre Sache vor und bitten ihn, den Streit zu
schlichten und für Gerechtigkeit zu sorgen. Der Abt möchte eine Nacht
Bedenkzeit und gibt den Mönchen am nächsten Morgen seine Antwort:
Gerechtigkeit gibt es nur in der Hölle, im Himmel regiert die
Barmherzigkeit, und auf Erden gibt es das Kreuz!
Lange reibt sich die Frau an der Antwort aus der Geschichte, bis sie
einsieht, dass eine austeilende und konsequente Gerechtigkeit in die Hölle
führt, dass Gottes Gerechtigkeit die Gestalt der Barmherzigkeit hat, und
dass der Weg zwischen dem Rechthaben und Barmherzigsein der Weg des Kreuzes
ist. Sie will sich im Umgang mit ihren Geschwistern nicht mehr die Hölle
schaffen!
Dann beginne halt ich mit dem Fünf gerade sein lassen, dann beharre ich
nicht mehr auf dem, wovon ich glaube, dass es mir zusteht. Ich brauche es ja
nicht. Ich verzichte auf Gerechtigkeit um der Zuneigung zu meinen
Geschwistern willen. Ich kann das! So spricht sie und überlegt sich ihre
nächsten Schritte.
Auch wenn unser höchstes Gericht in Lausanne entscheidet, dann verliert
immer jemand. Gerechtigkeit ist wichtig, aber von Barmherzigkeit leben wir.
Sie gehört zu Liebe. Und ohne Liebe können wir so wenig leben wie ohne Luft.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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Roman Angst, Toni Zimmermann
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