Das Weg-Wort - Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich!

Weg-Wort vom 31. März 2020

Der kranke Nachbar

«Der Mond ist aufgegangen» gilt als das bekannteste deutsche Gedicht. Sein Schöpfer, Matthias Claudius, hat es bescheiden als «Abendlied» bezeichnet. Viele Komponisten haben es vertont. Johann Abraham Peter Schulz hat mit seiner volksliedhaften Melodie dazu beigetragen, dass bis heute so viele Menschen dieses Lied kennen. Die letzte Strophe lautet:

So legt euch denn, ihr Brüder,
In Gottes Namen nieder!
Kalt ist der Abendhauch.
Verschon’ uns Gott mit Strafen,
Und laß uns ruhig schlafen,
Und unsern kranken Nachbar auch!

Dieser Text ist mehr als zweihundert Jahre alt. Claudius spricht nur die Brüder und nicht die Schwestern an. Das weckt bei mir Widerstand. Mit dem Bild eines strafenden Gottes habe ich auch meine Mühe. Und doch bin ich froh, dass sich dieses Lied – allen gendergerechten Überarbeitungsversuchen zum Trotz – in dieser ursprünglichen Form erhalten hat. Bis vor zwei oder drei Wochen habe ich über die letzte Zeile des Liedes gedankenlos hinweggesungen. Aber jetzt rüttelt mich genau diese Formulierung auf: Matthias Claudius erinnert mich an meinen Nachbarn, und natürlich auch an meine Nachbarin, auf jeden Fall an einen ganz konkreten Menschen. Bei allem, was ich in der jetzigen Situation zu bewältigen habe, soll ich diesen Menschen hier in meiner Nähe nicht vergessen.

Musik gemeinsam in Zeiten der Einsamkeit. Unter diesem Motto hat der Jugendchor meiner Nachbargemeinde «Der Mond ist aufgegangen» aufgenommen und auf YouTube gestellt
https://www.youtube.com/channel/UCh3T_KiNrKhd-XD0B7dHh1A


Mit freundlichen Grüssen

Ihre Bahnhofkirche

Bildquelle: Mono Andes auf flickr.com
 
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