Hängen geblieben
Beim Wandern im Herbstwald habe ich ein Ahornblatt entdeckt, das vom Baum gefallen, aber nicht unten auf dem Boden angekommen war. Es hing ganz alleine mitten in der Luft. Festgespiesst auf einem Ast, konnte es seinen Weg nicht
fortsetzen. Das sah schön und traurig zugleich aus. Es hat auf mich gewirkt, als hätte es bleiben wollen; als hätte es sich im Schrecken darüber, dass es weggeweht wurde, im Fallen aufspießen lassen um den vorgegebenen Weg nicht gehen zu müssen. Es wollte
die Verbindung zu seinem Baum nicht aufgeben.
Ich habe das Blatt von mehreren Seiten fotografiert und die Bilder immer wieder betrachtet. Wie so oft hat mir die Natur ein Bild für uns Menschen und damit für mich selbst gegeben.Ich kenne tatsächlich eine Frau, die nie ausgezogen ist, die den Absprung ins eigene Leben ohne Eltern nie geschafft hat. Ich denke an den Freund, den seine Frau verlassen hat und der auch ein paar Jahre später in Schmerz und Wut verharrt, weil sie die einzig bleibende Verbindung zu seiner Ehe sind. Ich weiss, wie ich selber nach einer schockierenden Erfahrung das Gefühl hatte zu fallen und wie ich danach erstarrt bin. Unfähig, das Geschehene zu begreifen, habe ich zurückgeblickt, nicht geglaubt, dass nichts mehr zu ändern war. Mit der Hilfe anderer Menschen habe ich Schritte in neues Leben gewagt.
Das Blatt am Baum verdeutlicht diese Erfahrungen. Wenn es zwischen Krone und Boden hängenbleibt, wird es keine Verwandlung erleben, wie die Blätter am Boden. Ich werde beim nächsten Spaziergang einmal schauen, ob es seinen Weg
gemacht hat, sonst bekommt es einen sanften Schubs.