Das Weg-Wort – Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich!
 
Weg-Wort vom 18. November 2020
 
Blind
Im 9. Kapitel des Johannesevangeliums wird erzählt, wie Jesus an einem Sabbat, dem geheiligten Ruhetag der Juden, einem blindgeborenen Bettler begegnet. Die Jünger fragen ihn, wer an dessen Behinderung schuld sei, die Eltern oder der Betroffene selbst.  Jesus antwortet, dass «weder er noch seine Eltern» gesündigt hätten. Dann heilt er den Blinden.
Es gibt Schicksale, für die niemand verantwortlich ist. Krankheit kann einen treffen, einfach so. In der Erzählung ist damit die Diskussion um Schuld und Sünde aber nicht zu Ende. Einige Pharisäer, die von der Heilung erfahren, sagen über Jesus: «Dieser Mensch ist nicht von Gott, denn er hält den Sabbat nicht.» Als gläubiger Jude dürfte Jesus am Sabbat nicht arbeiten. Aber er hat den Blinden geheilt! Kann diese Heilung gut sein, wenn sie aus einer Normverletzung heraus geschehen ist? Der Blinde selbst sieht es anders: «Wäre dieser nicht von Gott, könnte er nichts tun.» Die Sichtweise der Pharisäer aber ist unverrückbar. Ihre Reaktion: «In Sünden bist du geboren, ganz und gar, und du willst uns lehren? Und sie stiessen ihn aus.»
Was ist Schuld, was Sünde? Wer ist krank, und wer gesund? Am Ende des Textes provoziert Jesus: «Zum Gericht bin ich in diese Welt gekommen, dass die, die nicht sehen, sehend und die Sehenden blind werden. Das hörten einige von den Pharisäern, die bei ihm waren, und sie sagten zu ihm: Sind etwa auch wir blind? Jesus sagte zu ihnen: Wärt ihr blind, hättet ihr keine Sünde. Jetzt aber sagt ihr: Wir sehen. Darum bleibt eure Sünde.»
Oft genug sind wir Sehenden krank, ohne es zu merken: Blind für das Schicksal anderer. Eine verbreitete Form der Behinderung.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
Abbildung: Duccio di Buoninsegna, Die Heilung des Blindgeborenen, 1308/11, National Gallery, London, Grossbritannien. Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/80/Duccio_di_Buoninsegna_037.jpg
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