Weg-Wort vom 27. November 2006
Glaubwürdig
Manche Menschen beklagen sich über alles und jedes, obwohl es ihnen
eigentlich ganz gut geht. Und je mehr man sie auch auf das Positive
hinweist, desto eindringlicher werden ihre Klagen.
Ich kenne das selber gut: Denn als junger Weltveränderer und Idealist fand
ich überall das Haar in der Suppe. Und ich sah jeweils nur dieses eine Haar.
Dass die Suppe wunderbar schmeckte, mich gut ernährte und mir zudem warm
gab, bemerkte ich gar nicht. Das war unwichtig. Denn von Bedeutung war für
mich nur, was nicht funktionierte, was ungut war, was zum Besseren verändert
werden musste. Ich muss damals für die andern in dieser Hinsicht ein eher
unangenehmer Zeitgenosse gewesen sein. Mir gut zuzureden, doch auch das
Positive zu sehen, verfing nicht, im Gegenteil.
Andere mit unsern gut gemeinten Worten und Ratschlägen oder mit unsern
Erwartungen zu überzeugen versuchen, ist ein eher schwieriges und zumeist
wenig erfolgreiches Unterfangen. Hilfreicher ist da vielleicht die
Lebenshaltung des Franz von Assisi. Über ihn wird folgende Geschichte
berichtet:
Mit einem jungen Mönch ging er in die Stadt, um den Menschen dort zu
predigen. Sie liefen durch die Strassen, assen neben den Leuten am
Marktplatz und unterhielten sich dabei über ihre persönlichen Erfahrungen
und ihre daraus gewonnenen Erkenntnisse. Auf dem Heimweg rief der Mönch
erschrocken: Wir haben ja ganz vergessen zu predigen! Franz antwortete: Wir
haben die ganze Zeit nichts anderes getan. Wir wurden beobachtet, Teile
unseres Gesprächs wurden mitgehört. Unsere Gesichter und unser Verhalten
wurden gesehen. So haben wir gepredigt!
(nach H.L. Gee)
Auf unsere persönliche Lebenshaltung kommt es an! Was immer wir reden oder
tun wenn es von Herzen kommt, wenn wir glaubwürdig dahinter stehen, werden
wir gesehen, gehört und verstanden. Wir überzeugen in erster Linie durch
unser ehrliches, authentisches Leben.
Wenn wir zum Beispiel unsere Klage genauso annehmen wie unsere Freude,
handeln wir glaubwürdig. Wenn wir zudem unsere Energie und unser Engagement
nicht an die Klage, sondern an die Freude, an unsere Fähigkeiten und
Möglichkeiten verschwenden, sind wir überzeugend.
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Hauptbahnhof Zürich
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Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Sr. Anna Affolter, Sr. Zoe Maria Isenring, Hans-Ruedi Rüfenacht
Evangelisch-reformierte und Römisch-katholische Kirche