Das Weg-Wort - Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich!
Weg-Wort vom 9. April 2020
Trotzdem
Vor kurzem – die Massnahmen zur Bewältigung der ausserordentlichen Lage waren gerade in Kraft – ging ich allein auf dem Sedel bei Luzern in der Abendsonne spazieren. Unterwegs begegnete mir ein ziemlich verwittertes Wegkreuz, das mich faszinierte, weswegen ich es fotografierte. Wind und Wetter hatten dem Korpus ungeachtet des schmalen Dächleins recht zugesetzt. Vielleicht strahlte es gerade deswegen für mich eine tiefe geduldige Stärke aus, ein fast schon widerspenstiges „Trotzdem“.
Dieses Kreuz wurde mir zum Symbol von Ostern über den Karfreitag hinaus. Der österliche Festkreis verweist auf viele existenzielle Erfahrungen: von Jubel und Anfeindung, Abschied, Verrat, Drangsal, Not, tiefsten Schmerz, Dunkelheit, Verzweiflung, Leerlauf, Hoffnungsschimmer, Unfassbarkeit bis hin zum kraftvollen Neuanfang. Der kürzeste Nenner von Ostern lautet: Das Leben siegt über den Tod. Dieses alte Wegkreuz erinnert mich daran. Es ist von widrigen Umwelteinflüssen gezeichnet und steht immer noch unbeirrt, von der Abendsonne angestrahlt und scheint mir zuzurufen: Was immer auch passiert, das Leben bleibt!
Anfang des Jahres hat sich wohl niemand vorgestellt, dass wir dieses Mal auf der ganzen Welt die Osterfeiertage nicht in der gewohnten Form begehen können. Gottesdienste müssen ausfallen oder dürfen nur im kleinsten Kreis zelebriert werden. Viele Menschen erleben existenziell herausfordernde Zeiten. Zugleich nehme ich Menschen wahr, die neue Wege finden: Sie begegnen sich online und essen sogar so miteinander. Musiker geben ihre Osterkonzerte auf diese Weise. Hilfsbereitschaft und Rücksichtnahme wachsen.
Darin leuchtet mir das Trotzdem des Kreuzes entgegen, das Ja zum Leben.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche

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