Das Weg-Wort - Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich!
Weg-Wort vom 4. Juni 2021
Lieber Gott böse
«When too perfect, lieber Gott böse.» Der koreanische Videokünstler Nam June Paik, von dem
dieser Satz stammt, war ein total verspielter Mensch voller verrückter Ideen. So baute er
Skulpturen aus Fernsehmonitoren oder fabrizierte einen Büstenhalter aus zwei kleinen
TV-Bildröhren. Dazu war er mit einer grossen Portion Ironie ausgestattet. Dies zeigt sich
z.B. in dem Werk «TV Buddha», in dem er eine Buddha-Statue filmt, die im Lotussitz vor
einem Fernseher sitzt und auf dem Bildschirm nichts anderes sieht als eben das Live-Bild
ihrer selbst. Bedeutungsschwere Wahrheiten gibt es bei Paik nicht. Und Perfektion schon
gar nicht. Eben: Wenn es zu perfekt wird, ist der liebe Gott böse.
Und da pflichtet ja sogar die Bibel bei! Lesen wir in der Schöpfungsgeschichte etwa: «Und
Gott sah alles an, was er gemacht hatte, und siehe, es war perfekt?» Nein, von «sehr gut»
ist die Rede. Und das ist schon mal nicht schlecht. Jedenfalls gut genug für Gott. Und
perfekt ist diese Welt ja nun keineswegs. Die Sünde lässt grüssen. Mit ihr sollte man sich
versöhnen, denn vermeiden kann man sie sowieso nicht. All die Gruppierungen, die darauf
aus sind, dies zu erreichen, sich durch Bussriten und geistliche Übungen zu
perfektionieren, die führen meist zu versteinerter Strenge und einem Leben voller Zwänge.
Und zu Unehrlichkeit: Nach aussen hin sauber, nach innen voller Widersprüche, die
verschwiegen oder verdrängt werden müssen. Solche Scheinperfektion macht den lieben Gott
allerdings böse. Denn der liebt doch die Menschen gerade mit ihren Unzulänglichkeiten,
ihrem steten Umfallen und Wiederaufstehen. Wahrscheinlich ist Gott auch ziemlich
selbstironisch und lächelt spitzbübisch über seine unperfekten Kunstwerke.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
Abb: Nam June Paik, TV Buddha, 1974, Tate Modern, 2020, London.
Foto: B, Flickr,
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