Das Weg-Wort - Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich!

Weg-Wort vom 30. August 2019

Im Fluss

Der Hauptfluss des Jura ist der Doubs. Dort, wo er zwischen Frankreich und der Schweiz die Grenze bildet, bin ich ihm diesen Sommer entlanggelaufen. Zwei ganze Tage war ich unterwegs. Immer dem Fluss entlang. Manchmal dauerte es Stunden, bis mir ein Mensch begegnete. Nur der Fluss war mein ständiger Begleiter, und trotz meiner gemächlichen Fortbewegungsart wurde er mir nie langweilig. Neugierig wollte ich wissen, in welcher Gestalt er sich mir nach der nächsten Biegung präsentierte.
Manchmal toste er wie ein wilder Bergbach und war auch aus der Ferne ganz laut zu hören. Dann floss er wieder langsamer oder schien sogar ganz still zu stehen. Das Wasser des tosenden Baches war dunkel und von hellem Schaum gekrönt. Das ruhige Wasser spiegelte das Grün der Bäume und näherte sich farblich den Blättern der Seerosen auf seiner Oberfläche an.

Ein und derselbe Fluss zeigte sich mir völlig anders, je nach Umgebung, die ihn gerade prägte.
Beim Menschen ist das ähnlich. Je nach Gesellschaft oder nach dem, wie der Tag gelaufen ist, kann jemand völlig außer sich sein, für andere nicht mehr als ein und derselbe Mensch erkennbar.
Dietrich Bonhoeffer hat das in der Zeit der Gefangenschaft bei sich selber beobachtet und in seinem Gedicht «Wer bin ich?» festgehalten:

«…Wer bin ich? Der oder jener?
Bin ich denn heute dieser und morgen ein andrer?
Bin ich beides zugleich?…
Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!»


Mit freundlichen Grüssen

Ihre Bahnhofkirche



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