Das Weg-Wort – Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich!
Weg-Wort vom 10. Juni 2021
Der andere bist du
Kürzlich habe ich mich in einer Videoaufnahme gesehen. Aber ich bin nicht sicher, ob da nicht ein Fehler passiert ist. Dieser Mann kam mir zwar von ferne bekannt vor, eigentlich war er mir aber vor allem fremd. So bewege ich mich doch nicht. So blicke ich
nicht in die Welt, und so rede ich auch nicht. Und doch kann ich mich an die Aufnahme des Videos erinnern. Wahrscheinlich bin ich das also doch.
Plötzlich bin ich erschrocken: Alle meine Freunde und Freundinnen, meine Familienangehörigen – die meinen also gar nicht mich, sondern diesen da! Die meinen den, wenn sie über mich reden.
Und schlimmer: Meine Partnerin, die vorgibt, mich zu lieben, liebt einen Fremden. Den!
Dann kennt sie mich also gar nicht?
Sie und die anderen, die wissen gar nicht, wer ich bin.
Niemand von denen weiss, wie es sich anfühlt, ich zu sein.
Und dann kriegte ich es mit der Angst zu tun. Meine Stelle hat in dem Fall auch der andere erhalten. Wenn sie herausfinden, wer ich wirklich bin, entlassen sie mich womöglich. Ich muss aufpassen. Gibt’s denn überhaupt irgendjemanden, der mich wirklich kennt?
In meiner grossen Not habe ich zur Bibel gegriffen. Es heisst ja immer, das solle man tun. Und wirklich, da fand ich diesen Satz:
„Der Mensch sieht, was vor den Augen ist, Gott aber sieht das Herz“ (1. Samuel 16,7). Wenigstens einer, der mich kennt.
Und dann bin ich noch über einen Satz gestolpert von so einem Yogi oder so: „Der andere bist du.“ Ich weiss nicht.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
© Ökumenische Bahnhofkirche im Hauptbahnhof Zürich