Weg-Wort vom 22. September 2011
Freiheitsentzug
Vor einigen Tagen kam unser schwarzer Kater mit einer grossen Schramme nach
Hause. Das verletzte Bein musste operiert und bandagiert werden. Das
Verdikt lautete: 10 Tage Hausarrest für die freiheitsliebende Laufkatze. Sie
tat sich schwer daran, kratzte an Türen und Fenstern und miaute Tag und
Nacht erbärmlich.
Ich betreue seit längerem eine 92-jährige Frau. Dank ihrem immer noch klaren
Kopf und unbeugsamen Willen und mit der Unterstützung von Spitex, Putzfrau
und weiteren Helferinnen kann sie immer noch allein in ihrer schönen Wohnung
leben. Ins Pflegeheim möchte sie auf keinen Fall. Der Preis dafür ist, dass
die Frau sehr einsam ist und nie unter die Leute kommt. "Ich lebe hier in
einem goldenen Käfig", lautet ihre realistische Einschätzung der Situation.
In der Strafanstalt begegne ich Gefangenen mit kürzeren oder längeren
Freiheitsstrafen. Dort werden sie gut behandelt, haben gesundes Essen,
Arbeit und eine sauberen Zelle mit Toilette, Bett, Tisch und Fernseher. Zu
komfortabel, sagen gewisse Kritiker. Es gehört aber zu einem humanen
Strafvollzug, dass die Gefangenen nicht gefoltert und gedemütigt werden.
Ihre Strafe besteht im Freiheitsentzug. Und das ist eine harte
Einschränkung.
Diese Einschränkung spüren auch kranke und betagte Menschen, die ans Bett
gefesselt sind, schmerzlich. Ebenso wie die Tiere in Gefangenschaft.
Mein Leben selber gestalten und mich frei bewegen können, empfinde ich jeden
Tag als grosses Privileg.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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