Das Weg-Wort - Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich!
Weg-Wort vom 28. September 2017
Kürzer-treten
In letzter Zeit fällt mir auf, dass die Sonne nicht am gleichen Ort auf- und
untergeht wie im Juli. Als ich kürzlich auf dem Feld stand habe ich mir
den Lauf der Sonne vorgestellt: Im Sommer kam sie frühmorgens hinter der
Eiche hervor und ging am Abend hinter dem Stall nieder. Jetzt ist ihr Lauf
kürzer, sie geht erst hinter dem Rebberg auf und schon vor dem Stall wieder
unter. Aha, dachte ich mir, auch die Sonne muss kürzer treten! Wenn wir
Menschen reden von Kürzer-treten ist meist die Arbeitszeit gemeint: Nach
dem Herzinfarkt treten wir kürzer oder nach einer anderen Krankheit. Wenn
wir von Kürzer-treten reden ist es meist ein Anlass, der uns kürzer treten
lässt. Bei der Sonne ist das irgendwie anders. Als ich so auf dem Feld stand
und über den Weg der Sonne nachdachte, habe ich mich gefragt, was macht die
Sonne eigentlich in der Nacht, wenn wir sie nicht sehen? Sie ruht sich nicht
aus, sie macht nicht Ferien, sie ist einfach da für andere Menschen. Wenn
sie weniger Zeit mit uns verbringt, verbringt sie mehr Zeit mit anderen, im
nächsten Jahr ist es dann wieder umgekehrt. Das Kürzer-treten der Sonne
öffnet anderen den Horizont.
Wenn mir jemand erzählt er oder sie müsse kürzer treten ist es immer mit
einem leicht entschuldigenden Unterton: Sorry es geht einfach nicht mehr
anders! Kaum jemand sagt mit Stolz und Freude: Ich trete kürzer, damit ich
mehr Zeit habe um anderen Menschen Freude zu bereiten! Die Sonne bereitet
Freude durch ihr blosses da sein, auch wir müssen eigentlich nicht immer
etwas tun. Kürzer-treten um mehr Da-zu-sein! Das wär schon echte
Lebensqualität!
Wie froh war ich als Kind, als meine Grossmutter kürzer trat und mehr Zeit
mit mir verbrachte, wie genoss ich die Zeit mit meinen Kindern weil es mir
vergönnt war nur Teilzeit zu arbeiten.
Während ich so über den Lauf der Sonne und ihr Kürzer treten nachdachte,
entfaltete sich vor mir ein wunderbarer Sonnenuntergang, wie wenn die Sonne
mir am Ende des Tages sagen wollte: Schau wie schön es ist kürzer zu treten!
Hab Mut zum Kürzer-treten es lohnt sich. Und keine Angst: Morgen bin ich
wieder da! Was wäre wenn ich heute im Büro etwas früher Schluss machen würde
und meinen Kollegen mit einem Strahlen im Gesicht erklärte: Heute trete ich
etwas kürzer, ich verbringe noch etwas Zeit mit Menschen die mir lieb sind!
Morgen bin ich wieder für euch da.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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