Weg-Wort vom 18. Oktober 2007
Den richtigen Augenblick nutzen
Eltern und Lehrpersonen haben mir oftmals mitgegeben, nicht auf Morgen zu
verschieben, was sich heute besorgen lässt. Bei mir - und wohl nicht nur bei
mir - will diese Spruchweisheit im Alltag nicht so recht greifen.
Das mach ich später! Das kann noch warten! vertröste ich mich oft, etwa
wenn ein Missverständnis geklärt, unangenehme oder nicht so dringende Dinge
erledigt werden sollen. Manchmal schiebe ich auch wichtige Dinge vor mich
her, wie etwa das Treffen einer wegweisenden Entscheidung. Verbindet sich
hinter diesem Denken nicht manchmal der geheime Wunsch, die Dinge würden
sich von selber erledigen oder andere würden sie schon zu Ende bringen?
Theodor Storm hat solches Verhalten poetisch schön eingefangen:
Der Ochse frisst das feine Gras
und lässt die groben Halme stehen;
Der Bauer schreitet hintendrein
und fängt bedächtig an zu mähen.
Und auf dem Stall zur Winterszeit,
wie wacker steht der Ochs zu kauen!
Was er als grünes Gras verschmäht,
das muss er nun als Heu verdauen.
Das Herausschieben macht also die Sache weder besser noch einfacher. Das
Unerledigte holt uns irgendwann ein, und die Suppe muss ausgegessen werden.
Der Ochse warnt uns, dass das Verschmähen des Härteren, Schwierigeren oder
Unschmackhafteren nur ein Wählen des scheinbar Besseren ist. Er ermutigt
uns, unangenehme Dinge anzupacken damit wir sie später nicht als
trockenes Heu verdauen müssen.
Im Evangelium spielt das Jetzt mit dem richtigen Augenblick, dem sogenannten
Kairos, eine wichtige Rolle. Wir werden ermutigt immer wieder den
günstigen Moment zu erkennen, in dem etwas getan oder vertan wird. Dieses
Jetzt darf nicht verpasst werden, sondern in ihm soll die je günstige
Gelegenheit ergriffen werden, soll diese beim Schopf gepackt werden. Die
Frage für uns heisst: Erkenne ich diesen Kairos? Habe ich den Mut, den
guten Augenblick, den Gott mir bietet, zu ergreifen und zu nutzen?
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