Weg-Wort vom 17. Dezember 2008
Die Gottesgeburt im Menschen
Wir feiern die Geburt Christi in Betlehem, um daran glauben zu können, dass
in uns göttliches Leben ist. Ohne dieses Fest würden wir das göttliche Leben
in uns übersehen. Wir würden das für Leben halten, was nach aussen hin
sichtbar ist: unser Arbeiten, unsere Erfolge und Misserfolge, unser
menschliches Miteinander, Anerkennung, Zuwendung, Liebe, unsere alltäglichen
Freuden und Leiden. Wir würden daran vorbeisehen, dass in uns Gott selbst
ist.
Wir brauchen viele Symbole, um gegen die Macht der Fakten an das Geheimnis
zu glauben, dass Gott in unsere Welt gekommen ist. Wir stellen Christbäume
auf, zünden Kerzen an, wir singen Weihnachtslieder, die in Bildern das
Geheimnis der Menschwerdung künden und in ihren trauten Melodien etwas davon
vermitteln, dass unsere Welt anders geworden ist durch Gottes Kommen, dass
wir uns in ihr ein Stück weit zuhause fühlen können. Und wir singen diese
Lieder, um in uns neue Möglichkeiten zuzulassen: Liebe, Zärtlichkeit,
Staunenkönnen, Ergriffenwerden, Fühlenkönnen.
Der Gedanke von der Gottesgeburt im Menschen durchzieht die Schriften der
deutschen Mystiker. Nach Johannes Fauler sind alle Leiden dieser Zeit nur
die Geburtswehen für die Geburt Gottes in unserer Seele...
C.G. Jung sagt, der Mensch soll immer wissen, dass er nur der Stall ist, in
dem Gott geboren wird. Wir sind nicht ein Palast, der für die Aufnahme
Gottes bereit ist. Wir verdienen es nicht, dass Gott in uns ist. Wir können
uns dies auch durch Askese oder Gebet oder Meditation nicht verdienen.
Wir sind immer nur der Stall. Und in diesem Stall liegen Mist und Unrat. Wir
brauchen das Unreine in uns nicht zu verdrängen. Wir werden von Gott dadurch
gewürdigt, dass er trotzdem in uns wohnen will. Aber wir brauchen die Feier
von Weihnachten, um daran glauben zu können. Denn von uns her können wir
daran nicht glauben. In uns sehen wir oft nur das Dunkle, das Durcheinander,
die Grenzen und Schwächen. Wir erleben uns oft weit weg von Gott.
Da muss uns ein Fest vor Augen führen, dass Gott in der Krippe im Stall
geboren wird, von Ochs und Esel umgeben, und dass gerade die Hirten, die
wenig vornehmen Teile unserer Seele, kommen müssen, um dieses Kind
anzubeten, während unser Verstand als der edelste Teil zurückbleibt mit
seinen Entschuldigungen: Wir haben keinen Platz in der Herberge. Und wir
brauchen die Lieder und die Kerzen, um daran glauben zu können, dass die
Geburt Gottes in uns neue Saiten zum Klingen bringen kann.
Anselm Grün
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Hauptbahnhof Zürich
Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Sr. Anna Affolter, Sr. Zoe Maria Isenring, Susanne Wey
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