Weg-Wort vom 21. August 2009
Zusammen sind wir frei
Wir alle möchten unabhängig sein, so frei wie möglich. Freiheit besitzt in
unserer Gesellschaft einen hohen Stellenwert. Viele meinen zudem, dass erst
Geld und Macht ihnen zur gewünschten Unabhängigkeit und Freiheit verhelfen
können.
Uneingeschränkte Unabhängigkeit aber führt paradoxerweise zu mehr
Unfreiheit. Das veranschaulicht zum Beispiel die gegenwärtige Finanz- und
Wirtschaftskrise, die von wenigen verursacht wurde, von der Allgemeinheit
aber ausgestanden und bezahlt werden muss. Das zeigen zudem die zunehmende
Rücksichtslosigkeit und Gewaltbereitschaft, insbesondere bei der jüngeren
Generation. Zu viel Abhängigkeit andererseits aber führt leicht zu
Unterdrückung und Gewalt.
Wir brauchen die richtige Balance zwischen Unabhängigkeit und gegenseitiger
Abhängigkeit in der Familie wie in jeder Gemeinschaft, in Gesellschaft und
Staat. Erst diese Ausgewogenheit schafft die Grundlage für nachhaltige
Freiheit für alle.
Da, wo Menschen sich mit anderen verbinden, entsteht Verbindlichkeit. Wenn
ich mich mit Angehörigen, mit der Gesellschaft, mit dem Staat verbunden
fühle, bin ich bereit und interessiert an gegenseitig verbindlichen Regeln
des Miteinander. Sie erst ermöglichen individuelle Freiheiten, die nur eine
Gemeinschaft bieten kann. Nur zusammen sind wir frei.
So haben wir zum Beispiel den sozialen Errungenschaften der letzten hundert
Jahre unsere heutige individuelle Freiheit zu verdanken, die noch nie so
gross war. Je stärker und solidarischer eine Gemeinschaft ist, desto grösser
werden die Möglichkeiten der individuellen Freiheit.
Auch für den Benediktinerpater David Steindl-Rast ist es die gegenseitige
Verbundenheit, die uns frei macht: Unabhängigkeit ist Entfremdung. Sie
schneidet uns ab von den anderen. Blosse Abhängigkeit aber ist auf subtile
Weise auch Entfremdung. Denn sie ist Sklaverei; und ein Sklave ist ein
Fremder.
Gegenseitige Abhängigkeit verbindet uns mit anderen über das Band des Gebens
und Nehmens, über ein Band des Zusammengehörens. Die Bande der gegenseitigen
Abhängigkeit jedoch sind Bande, die uns frei machen. Ein einziges Geschenk
in Dankbarkeit anerkannt, besitzt die Macht, uns aus den Banden unserer
Entfremdung zu befreien, und schon sind wir frei zu Hause, wo alle von
allen abhängen
Ein Mensch, der zu einem anderen Ich danke dir sagt, sagt
eigentlich: Wir gehören zusammen.
Wir wünschen Ihnen einen guten und gesegneten Tag!
Die Seelsorger und Seelsorgerinnen der Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Beat Schlauri, Susanne Wey
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Hauptbahnhof Zürich
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