Weg-Wort vom 27. Juni 2008
Treue
Sie war eine treue Seele, hörte ich eine Frau im Zugsabteil nebenan sagen.
Was auch geschah, unsere Tante war immer für uns da, selbst mitten in der
Nacht. Aus den Worten dieser Frau klangen Wertschätzung, Hochachtung und
tiefe Dankbarkeit.
Ich vernahm zugleich eine Aussage über die Treue, die mich beeindruckte.
Treue zum anderen beansprucht Zuverlässigkeit und Vertrauen: Du kannst dich
auf mich verlassen. Ich stehe zu dir, so wie du bist, ohne Vorbehalte. Ich
lasse dich nicht fallen, auch wenn mir das eine oder andere von dir nicht
gefällt. Treue schliesst die Verbindlichkeit einer Verbindung, einer
Beziehung mit ein. Mit einer verbindlichen Beziehung spiele ich nicht.
Grundlage der Treue gegenüber anderen aber ist die Treue mir selbst
gegenüber: Ich stehe zu mir, so wie ich bin. Ich sage Ja zu meinen
Fähigkeiten und Mängeln. In aller persönlichen Veränderung und
Weiterentwicklung wahre ich meine grundlegenden Werte und Ideale, den Kern
meiner Person, mein wahres Wesen.
Wenn ich mir selbst treu bin, stärke ich in mir die Kraft, an einer selbst
gewählten Beziehung festzuhalten, im entscheidenden Moment Zurückhaltung zu
üben gegen alle Möglichkeiten der Abwechslung, gegen alle Versuchungen
unserer modernen Zeit.
Die Treue zum anderen tut mir selber gut. Sie stärkt meine Verbindlichkeit
mir selbst gegenüber. Sie gibt mir Festigkeit und Halt. Ich kann zudem das
Potential entfalten, das in mir bereit liegt, den Weg gemeinsam mit jemand
anderem zu gehen. Auf dem gemeinsamem Weg entdecken wir das, was mehr und
grösser ist als wir selbst. In der Treue zum anderen wachsen wir je über uns
selbst hinaus.
Als Christen haben wir die Gewissheit, dass Gott uns vorbehaltlos und stets
treu ist sogar wenn wir uns selbst untreu werden. Seine Treue schenkt uns
immer wieder neu Kraft und Mut, uns selbst und anderen treu zu bleiben.
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Hauptbahnhof Zürich
Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Sr. Anna Affolter, Sr. Zoe Maria Isenring, Susanne Wey
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