Das Weg-Wort - Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich!

Weg-Wort vom 27. September 2019

Astern zum Erntedank

Vielleicht muss man – wie ich als Kind –  erlebt haben, dass Mutter und Grossmutter in der Küche sitzen und in Erinnerung an den Verlust von allem, was man haben kann, weinen um voll und ganz zu begreifen, dass alles, was da ist, etwas wert ist:
Vergangenheit und Zukunft, ein Bett und der Ausbildungsplatz, die Nachbarn und Freundinnen, der Baum vor dem Haus, der vertraute Weg in die Schule, der Geruch im Hausflur, die starke Hand des Vaters, an der man geht, der Teddybär, die Geige, ein Frühstück, warmes Wasser zum Waschen, die Dorfgemeinschaft, zu der man gehört, ein Arzt, eine Mütze, ein vertrauter Dialekt. Alles kann einem genommen werden innerhalb von zwei Stunden.

Zwanzig Jahre hat es gedauert bis meine Eltern ins neue kleine Haus ziehen und dem Besuch auf der Terrasse Kuchen mit Johannisbeeren aus dem eigenen Garten servieren konnten. Bei diesen Gelegenheiten hat man auch wieder gelacht. Man konnte auch wieder abgeben. Dahliensträusse und Körbe voller Kartoffeln, Äpfel und Nüsse, Sonnenblumen und Kürbisse wurden von allen Heimatvertriebenen aus den neuen Gärten in Fülle für das Erntedankfest auf die Altarstufen gestellt.

Meine Mutter hat immer einen grossen Strauss mit blauen Herbstastern dafür gebunden. Das Erntedankfest ist seitdem für mich das glanzvollste Fest im Jahr, ein Gegenstück zur Trauer, zum Hunger, zum Frieren und zum Verlust.

Ich bin dankbar und will daran erinnert werden, dass ich dem Schöpfer aller Dinge dankbar sein kann.


Mit freundlichen Grüssen

Ihre Bahnhofkirche
 
© Ökumenische Bahnhofkirche im Hauptbahnhof Zürich

© Erntedankaltar/pixabay 

info@bahnhofkirche.ch
www.bahnhofkirche.ch
www.offene-tuer.net

https://www.bahnhofkirche.ch/weg-wort-abonnieren-abbestellen/