Das Weg-Wort - Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich!

Weg-Wort vom 2. Dezember 2019

Warten

«Stell dich bei Dämmerung vor ein großes Wohnhaus und warte, bis elf Fenster erleuchtet sind.»

Das schlägt mein Adventskalender vor. Jeden Tag gibt dieser Kalender mir eine Aufgabe, eine seltsamer als die andere, aber alle drehen sich ums Warten. Im normalen Leben bin ich schlecht im Warten. Ungeduldig. Schnell genervt. Aber das hier, das spricht mich an. Weil es so absurd klingt.

Ich versuche es. Stelle mich an eine mittelstark befahrene Straße. Es ist dunkel, es ist kalt, es nieselt. Ich lasse die Autos an mir vorbeirauschen. Richte meinen Blick auf die Fenster des Hauses vor mir und warte.
Meine Einkaufsliste kommt mir in den Sinn.
Den Regen rieche ich.
Nichts geschieht. Was tue ich hier?
Trotzdem bleibe ich. Halte die Leere aus.
Gedanken finden mich: Warum ist es so störend, wenn mein Tagesablauf durchkreuzt wird? Wenn ich nichts Sinnvolles tun kann? Wenn ein Loch sich auftut, ein leerer Moment?

Vielleicht würde sich die Sehnsucht Raum nehmen. Mich ausbremsen. Eine Lücke finden für ein paar Himmelsträume. Und die Vernunft wischte sie nicht weg.
Und plötzlich, während ich da in der Kälte stehe und noch lange keine elf Lichter brennen, weiß ich, dass ich auf etwas ganz anderes, Größeres warte.

Susanne Niemeyer, Der andere Advent 2008/9, Andere Zeiten e.V.

Mit freundlichen Grüssen

Ihre Bahnhofkirche


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