Weg-Wort vom 23. Oktober 2008
Weinen und lächeln, mit-leiden und sich freuen
Hat Jesus, als er auf Erden wandelte, gelächelt? In keiner der Schriften des
Neuen Testaments findet sich ein Hinweis auf das Lächeln Jesu. Dafür aber
gibt es eine Stelle im Lukas-Evangelium, in der Jesus angesichts der Stadt
Jerusalem über sie weinte (Lk . Es mag sein, dass das Lächeln Jesu eine
Selbstverständlichkeit war, die keiner Erwähnung bedurfte. Wir können uns
Jesus nicht vorstellen, der nicht den Kindern zulächelte, als er sie in
seine Arme schloss.
Dennoch fällt auf, dass es keine bildliche Darstellung von einem lächelnden
Jesus gibt. Darin unterscheidet sich das Christentum vom Buddhismus. Es gibt
viele Darstellungen des lächelnden Buddhas. Wegen dieser Tatsache hat der
Theologe Hans von Waldenfels gefragt, ob Jesus dem Buddha die Tränen und
Buddha Jesus das Lächeln voraus hatte. Hinter dieser Frage steckt weit mehr
als nur Lächeln oder Weinen. Ganz wesentliche Merkmale der beiden Religionen
werden hier angesprochen und die Meinung geäussert, dass Christentum und
Buddhismus von einander lernen könnten.
Über das Christentum herrscht in der Öffentlichkeit oft das Bild einer
Religion vor, die vom Leiden gekennzeichnet ist, die den Tod in den
Mittelpunkt stellt. Ist doch das Kreuz das beherrschende Symbol der
christlichen Religion. Dabei besteht die Gefahr, dem Leiden an sich einen
Wert beizumessen und ihn zu verherrlichen, das Kreuz viel zu schnell als ein
Heilzeichen zu deuten.
So kann das Christentum von der gesammelten, lächelnden Gelöstheit und
Erlöstheit des Buddha lernen. Er kann uns daran erinnern, dass der Mensch
für die Freude, für das Glück geschaffen ist. Auch nach dem christlichen
Glauben stehen nicht Schwachheit, Leiden und Kreuz am Ende, sondern die
Freude von Ostern.
Anderseits kann der Buddhismus vom Christentum das Angehen gegen Leid und
Ungerechtigkeit lernen. Zwar spielt auch bei Buddha das Leiden eine grosse
Rolle. Aber beim Anblick von fremdem Leid zieht Buddha sich in sein Inneres
zurück und macht sich immun gegen alles Leid. Von Jesu Kreuzesleiden her hat
die christliche Tradition eine grosse Kultur des Mit-Leidens geschaffen.
Gerade der Blick auf das Kreuz und auf den leidenden Jesus hat Menschen zu
jeder Zeit sensibel gemacht für Leid und Unterdrückung und sie befähigt,
dagegen anzugehen.
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Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
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Evangelisch-reformierte und Römisch-katholische Kirche