Das Weg-Wort - Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich
Weg-Wort vom 27. August 2021
Weichgespühlt
An Stränden suchen Sammlerinnen und Sammler nach Meerglas, also nach Glasscherben, die vor 20 bis 30 Jahren als Müll im Meer verklappt wurden. Als Müll im Meer sind
die scharfkantigen Splitter gefährlich für die Meerestiere, doch dann nimmt das Meer sie in die Mangel.
Seine unaufhörliche Bewegung, das beständige Wogen, das Schleifen auf dem Meeresgrund bearbeitet die Glassplitter zu weichen, matt glänzenden Kieseln. Nach vielen
Jahren spült die Brandung sie an den Strand. Ihre Oberfläche ist nicht mehr glatt, sondern rau, die scharfen Kanten sind gerundet.
Seit ein paar Jahren treffe ich wieder regelmässig eine Freundin, zu der ich lange nur noch sporadisch Kontakt hatte, die ich aber nie aus den Augen verlieren wollte.
Sie arbeitet dort, wo ich Urlaub mache, als Pfarrerin. Wir spazieren dann miteinander an einem Ostseestrand entlang und erzählen uns von unseren Leben und der Arbeit. Wir besprechen, was uns geglückt ist und welche Schwierigkeiten wir meistern mussten. Sie
erzählt, dass ihr die Spaziergänge am Meer Inspiration für ihre Arbeit, vor allem für ihre Predigten bieten.
«Hier, nimm das mit», sagt sie und hebt für mich einen grünen Meerglaskiesel auf. «Das ist ein Beispiel für das Leben, für unsere Verwandlung. Wir legen keinen glänzenden
Auftritt mehr hin, wir haben Falten, aber ein paar Kanten hat das Leben uns auch ordentlich abgeschliffen. Ich halte meine Nase weiter in den Sturm, bis ich fertig bin».
Quelle: Pixabay
© Ökumenische Bahnhofkirche im Hauptbahnhof Zürich