Weg-Wort vom 6. Oktober 2006
unser tägliches Brot gib uns heute
Der Unternehmer war eher zufällig ins Weg-Wort, in die morgendliche
Kurzandacht, geraten. Er wollte sofort wieder gehen, blieb dann aber doch,
um nicht aufzufallen. Überrascht vom Gehörten sagte er mir anschliessend:
Sie haben mit Ihren Worten etwas in mir berührt und mich nachdenklich
gemacht. Das nehme ich mit auf den Weg in meinen Tag, auch für meine Arbeit.
Aber dem Vaterunser, vor allem mit der Bitte um das tägliche Brot, habe ich
so meine Mühe. Wir haben ja alles, was wir brauchen, und das meiste sogar im
Überfluss. Wenn ich dabei an die Hungernden in der Welt denke, habe ich eher
ein schlechtes Gewissen.
Der Unternehmer hatte dabei etwas gut verstanden: Wie das unser im Unser
Vater unser aller Gott meint, so ist mit dem Bildwort unser Brot gemeint,
dass alles, was die Erde, die Schöpfung hervorbringt, unser aller Brot ist!
Also allen gehört. Jedem Menschen zusteht.
Für den südamerikanischen Theologen Leonardo Boff schliesst diese Bitte
konkrete Solidarität und praktizierte Gerechtigkeit mit ein: Wenn das Brot,
das wir essen, das Ergebnis der Ausbeutung unseres Bruders ist, dann wird
Gott das Brot nicht segnen. Das Brot ernährt uns zwar, aber es nährt nicht
das menschliche Leben, das nur dann menschlich ist, wenn es in der rechten
Ordnung von Gerechtigkeit und Brüderlichkeit lebt. Ungerecht erworbenes Brot
gehört uns nicht ... Damit es unser Brot sei, müssen wir die Welt verändern
und die Gesellschaft ...
Der Zusatz unser tägliches Brot bedeutet soviel wie: Was wir täglich
brauchen und nicht mehr! Wenn wir also nur so viel Brot, bzw. materielle
Güter besitzen, wie wir brauchen, reicht es allemal für alle!
Zu viel Materielles kann uns ja auch so in Beschlag nehmen, uns so in den
Kopf steigen, dass wir für das andere Lebens-notwendige das Wort Gottes
keinen Raum mehr haben. Denn Jesus braucht das Bildwort vom Brot nicht nur
im materiellen Sinn, sondern auch für das Wort Gottes selbst: Ich bin das
Brot des Lebens ... (Joh 6,35) und: Der Mensch lebt nicht nur von Brot,
sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt (Mt 4,4).
Die Bitte um das tägliche Brot bedeutet also für uns heute:
dass allen Menschen auf der ganzen Welt das zum Leben Notwendige täglich
gegeben ist auch Gottes Wort, das Brot des Lebens.
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