Weg-Wort vom 3. August 2009
Von Herzen freundlich
Bei Gesprächen über Verstorbene sagen Angehörige und Freunde manchmal: Sie
oder er war ein herzensguter Mensch. Wenn ich dann näher nachfrage, höre ich
Beschreibungen wie:
Er war so von Herzen freundlich. - Sie hatte immer ein gutes Wort. - In
seiner Gegenwart fühlte ich mich wohl und angenommen. Da konnte ich so sein,
wie ich bin. Im Grunde muss sie im Frieden mit sich selbst gewesen sein.
Das jedenfalls strahlte sie immer wieder aus. Ich denke, er war auf eine
gute Art ein tiefgläubiger Mensch. Wir haben zwar nie darüber gesprochen.
Aber ich spürte, dass sein freundliches Wesen etwas damit zu tun hatte.
Für den Theologen und Philosophen Henri J.M. Nouwen ist Freundlichkeit eine
lebendige Erinnerung daran, dass Gott unter uns gegenwärtig ist:
Immer wieder begegnen wir einem freundlichen Menschen, wenngleich
Freundlichkeit eine heute mehr und mehr in den Hintergrund tretende Tugend
ist und vor allem Härte und raue Direktheit bewundert werden. Wir werden
dazu gedrängt, etwas zu erledigen und dies schnell zu erledigen, selbst wenn
Menschen dabei Verletzungen davontragen. Erfolg, die Fähigkeit, sich
durchzusetzen, und Produktivität zählen, doch der Preis dafür ist hoch. In
solch einer Atmosphäre ist für Freundlichkeit wenig Platz.
Freundlich ist, wer das geknickte Rohr nicht zerbricht und den glimmenden
Docht nicht auslöscht (Matthäusevangelium 12,20).
Freundlich ist, wer die Stärken und Schwächen des anderen achtet und sich
mehr darüber freut, etwas gemeinsam zu tun als nur etwas auszuführen.
Ein freundlicher Mensch geht behutsam vor, hört aufmerksam zu, schenkt einen
verständnisvollen Blick und klopft auch einmal auf die Schulter.
Ein freundlicher Mensch weiss, dass wirkliches Werden und Wachsen Pflege und
nicht Gewalt verlangen.
Kleiden wir uns mit Freundlichkeit! In unserer rauen und oft unerbittlichen
Welt könnte unsere Freundlichkeit eine lebendige Erinnerung daran sein, dass
Gott unter uns gegenwärtig ist.
Wir wünschen Ihnen einen guten und gesegneten Tag!
Die Seelsorger und Seelsorgerinnen der Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Beat Schlauri, Susanne Wey
© Bahnhofkirche
Hauptbahnhof Zürich
www.bahnhofkirche.ch
info(a)bahnhofkirche.ch