Das Weg-Wort - Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich!

Weg-Wort vom 6. Oktober 2017

Pendler

Wenn der Zug einfährt beginnt der Kampf um den Sitzplatz. Diesen Moment haben wir wohl alle schon einmal erlebt. Interessant ist, dass wir die Tendenz haben, um unseren eigentlichen Sitzplatz herum eine Art Burg zu bauen mit unserem Gepäck und unseren Kleidungsstücken. Viele geben dann der SBB die Schuld, es gäbe keinen Platz für’s Gepäck und man sei gezwungen dieses auf den Sitzplatz zu stellen.

Spannend wird es, wenn auch noch Hunde ins Spiel kommen. So sitzt eine Frau mit Wanderausrüstung, sichtlich froh über einen freien Tag, am Fenster - den Rucksack neben sich auf dem leeren Platz. Vis à vis eine Frau mit Hündchen. Der Hund sichtlich glücklich auf dem Sitz alle durchgehenden Passagiere beschnuppernd. Nun kommen aber leider scharenweise neue Passagiere ins Zugsabteil, alle auf der Suche nach einem Sitzplatz. Aber nichts zu machen: Rucksack und Hund bleiben! Da erscheint der Zugbegleiter und spricht ein Machtwort: Hund und Rucksack müssen vom Sitz runter! Der Rucksack verschwindet kommentarlos. Die Hundehalterin erklärt, dass der Hund nicht am Boden sitzen könne, was dem Kondukteur aber egal ist, der Hund muss weg. Wenig später schlummert das Tierchen dann auf dem Schoss der Besitzerin. Alle zufrieden!

Nun beginnt eine junge Frau ihre Stimme zu erheben und erledigt ihre geschäftliche Unterredung für alle hörbar im Zug. Auch lustig – oder doch nicht? Ich beginne über Nähe und Distanz nachzudenken. Wieviel Raum brauche ich für mich? Rein physischer Sitzplatz aber auch atmosphärisch. Wieviel Persönliches will ich ungefragt mithören? Was heisst Rücksicht? Soll man etwas sagen oder besser schweigen? Eine solche Zugfahrt als Lebensschule lohnt sich allemal. Ich muss aushalten, der Zug fährt, ich kann nicht ausweichen, muss herausfinden, wie ich mich verhalten will. Als ich an meinem Ziel ankomme war ich aber froh, dass ich nicht täglich drei Stunden so gedrängt im Zug verbringen muss, sondern nur gelegentlich.

Mit freundlichen Grüssen

Ihre Bahnhofkirche

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