Das Weg-Wort – Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich!

 

Weg-Wort vom 20. November 2019

 

Schutzengel II

Die «Ange protécteur» (Schutzengel) im Hauptbahnhof Zürich wurde 1997 von der Künstlerin Niki de Saint Phalle geschaffen. Als Mädchen wurde de Saint Phalle von ihrem Vater sexuell missbraucht. Ein Trauma, das sie – über spätere Therapie - überhaupt erst zur Kunst brachte.

«Ich war eine zornige junge Frau», sagte sie von sich. Ihre frühen Arbeiten zeugen davon. Im Werk «Schwarzweisser Altar» z.B. ist ein wunderschön weisser Altar mit schwarzer Farbe besudelt worden, und von Michelangelos David bleibt nur noch ein verstümmelter und entmannter Torso übrig.

Weibliche Figuren aus dieser Zeit werden als von männlichen Aggressionen bedrohte, von Totenschädeln und fremden Grimassen bevölkerte Gebärmaschinen dargestellt.

Als sie Mitte 30 war, fand die Künstlerin zu einer neuen Sprache. Sie schuf die Nanas: Farbenfrohe, urweibliche, lebensfrohe Frauenfiguren, die tanzen, den Kopfstand machen, sich selbstbewusst in Ballettposen werfen.

Auf der Grundlage dieser Kunstfigur entstand auch unsere «Ange protécteur». Allerdings ist diese Engelin alles andere als perfekt. Ihre Flügel sind arg durchlöchert. Aber Niki de Saint Phalle geht es auch nicht um das Perfekte.

Die Kunsthistorikerin Monika Becker schreibt dazu: «Sie bevorzugt das Unperfekte, den nicht ganz runden Kreis. Perfektion empfindet sie als Kälte…».

Vielleicht hat de Saint Phalle gewusst, dass aus Wunden Narben werden, dass immer ein Rest Versehrtheit bleibt. Man kann lernen, mit Wunden zu leben. Sie müssen einen nicht lähmen. Sie können Teil unseres Menschseins werden. Sie helfen, nicht kalt zu werden vor dem Leben.

Davon ist die Schutzengelin Zeugin.

Danke, Gott, für Nikis «Ange protécteur»!

 

Mit freundlichen Grüssen

 

Ihre Bahnhofkirche

 

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Ange protécteur, Niki de Saint Phalle,

Foto: Roland Fischer, Zürich/Wikimedia Commons

 

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