Weg-Wort vom 8. Oktober 2009
Gesichter
So früh am Morgen, auf dem Weg zum Bahnhof, ist die Welt um mich herum noch
still und voll der Geheimnisse, welche der erwachende Tag in sich birgt.
Spätestens auf dem Bahnhofplatz ist davon aber nichts mehr zu spüren,
Geschäftigkeit macht sich breit:
Aus dem Backoffice des Bistros trägt der junge Mitarbeiter ein Tablett mit
Sandwiches zum Kiosk. Eine Frau
lehnt an einem der Stehtische, eine Zigarette in der Hand, und schlürft
Kaffee aus einem Plastikbecher.
Als der Zug einfährt, schaut ein junges Mädchen, das gerade die Treppe
hochkommt, erschrocken auf und nimmt nun zwei Stufen aufs Mal.
Ich betrete einen noch schwach besetzten Wagen.
Ein Mann schläft, sein Kopf ist gegen das Fenster gesunken. Der ältere Herr
mir vis-à-vis sitzt mit verschränkten Armen da, hebt ab und zu seinen Blick
ins Leere, dann sinniert er wieder vor sich hin. Der junge Typ in Jackett
und glänzend polierten Lederschuhen ist in die NZZ vertieft.
Mittlerweile hat sich eine Frau zu mir gesetzt und sich sogleich in ihr
dickes Taschenbuch vertieft. Vielleicht ist es ein Liebesroman. Oder ein
Krimi.
Beim nächsten Zughalt schaue ich aus dem Fenster. Ein Wartender blättert im
Stehen in der Gratiszeitung 20 Minuten. Erst jetzt fällt mir eine Frau auf,
die ein paar Meter von mir entfernt sitzt und mit müden Augen meinen Blick
kreuzt. Ist sie heute früh freudlos aus dem Bett gestiegen? Sie wirkt nach-
denklich. Und an wen schickt der hübsche junge Mann schräg gegenüber
wohl seine SMS?
Die Wagen haben sich mittlerweile gefüllt, die Perrons ebenso. Gerade läuft
der RailClean Mitarbeiter zielstrebig zum Abfalleimer und leert mit Routine
den Inhalt in den Müllsack, der am Putzwagen hängt.
Ich frage mich, wer die Menschen hinter all den Gesichtern sind? Welche
Schicksale sich dahinter verbergen? Die Pendler und Arbeiter sind keine
uniforme Masse mehr. Es sind vielmehr einmalige, unverwechselbare Personen
mit ihrer je eigenen Geschichte.
Gott, der uns ins Dasein gerufen hat und der uns voller Liebe anschaut, bei
ihm haben wir ein Ansehen unserer Person. Wir sind geschaffen nach seinem
Bild. Er ist es auch, der uns diesen neuen Tag schenkt. Dir und mir.
Nehmen wir dieses Geschenk an und freuen wir uns daran!
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Susanne Wey, Iris Daus
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