Das Weg-Wort - Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich!
Weg-Wort vom 29. Oktober 2020
Der Berner Pfarrer und Autor Kurt Marti ist alt geworden. Sehr alt. Mit 86 hat er seine
Frau verloren. Danach zog er sich immer mehr zurück, lebte aber noch zehn Jahre, die
meisten davon im Pflegeheim. Auch in dieser Zeit blieb Marti, wie er immer gewesen war:
Ein kritischer Denker, klar und ungeschminkt.
In einem Brief, den er 92-jährig schrieb und in dem es um eine Kampagne zum hohen Alter
ging, meinte er:
«Hier in meinem Pflegeheim tut man vieles, um uns zu aktivieren. Doch wenn man mich fragt,
kann ich nur antworten: Ich möchte nicht aktiviert, ich möchte in Ruhe gelassen werden.»
Bei anderer Gelegenheit sprach er auch von Leerlauf, Langeweile und dass sein Leben schon
viel zu lange dauere.
Welch wohltuender Kontrast zu allem Anti-Aging, zu den Bildern von agilen nordicwalkenden
Seniorinnen und Senioren! Oder zu den Fitten, die mit über 80 auf Rennvelos über Pässe
pedalen oder die Grand Tour der Stadtmarathons absolvieren.
Warum in aller Welt sollte man auch mit über 90 noch aktiv sein? Muss man denn
leistungsstark, sportlich und gesund ins Grab fallen?
Im selben Brief schreibt Marti noch: «Alles hat seine Zeit. Für mich heisst das jetzt:
Reden, Schreiben, Kampagnen usw. hatten ihre Zeit, jetzt ist es Zeit, zu schweigen, aus
dem öffentlichen Diskurs zu verschwinden.»
Vier Jahre später, mit 96 Jahren, starb er – aktivierungsresistent, aber weise. Gott sei
Dank.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
Abbildung:
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