Weg-Wort vom 11. Oktober 2010
Mit den Augen der Dankbarkeit
Wenn ich als Kind ein Geschenk erhielt, erfolgte bevor ich mich darüber
richtig freuen konnte stets prompt die Aufforderung: Was sagt man, wenn
man etwas geschenkt erhält
? Das hat mir jeweils die Freude etwas verdorben
und das Danken nicht gerade erleichtert.
Wenn ich jetzt im Älterwerden auf mein Leben zurückblicke, dann steigt in
mir jedes Mal ein Gefühl von grosser Dankbarkeit auf. Es ist mir wie ein
inneres Bedürfnis zu danken. Zu danken vor allem für mein Leben, das mir
geschenkt ist. Für die vielen berührenden Begegnungen mit Menschen. Ja, für
so vieles, das ich gar nicht alles aufzuzählen vermag.
Für den Benediktinermönch David Steindl-Rast ist Gott die Quelle von allem
was es gibt. Alles, was es gibt, ist von Gott gegeben ist eine
Gegebenheit, ein Geschenk. Wir selbst sind in diesem Sinne eine
Gegebenheit: Wir haben uns nicht gemacht oder gekauft oder verdient, wir
sind uns gegeben.
Alles, was es gibt, ist für Steindl-Rast ein Ausdruck der Liebe Gottes. So
wie wir der Person, die wir lieben, das nicht nur einmal sagen, sondern
immer wieder durch neue Formen, Geschenke, Gedichte, Küsse, Blumen usw., so
ist alles, was uns begegnet jeder Stein, jeder Baum, jeder Mensch im
Grunde genommen eine Liebeserklärung Gottes an uns, in je anderer Art und
Form. Ein Apfel zum Beispiel spricht uns in der Apfelsprache die Liebe
Gottes zu.
Die angemessene Antwort auf alles Gegebene, auf jedes Geschenk ist
Dankbarkeit. Wenn wir dankbar sind, erfahren wir Freude und Kraft. Wer zum
Beispiel dankbar auf sein Leben schaut, der ist einverstanden mit dem, was
ihm widerfahren ist. Er hört auf, sich gegen sich selbst und sein Schicksal
aufzulehnen. Wenn wir für einen anderen Menschen danken, nehmen wir ihn so
an, wie er ist. Er muss sich nicht ändern, weil er genau so wertvoll ist für
uns. Oft spüren Menschen, für die wir danken, unsere positiv bejahende
Haltung.
Unser ganzes Leben soll ein einziger Dank sein, heisst es im Kolosserbrief
(3,17). Warum also nicht jeden Morgen als erstes uns, unsere Mitmenschen und
die Welt mit den Augen der Dankbarkeit betrachten?
Wir wünschen Ihnen einen guten und gesegneten Tag!
Die Seelsorgenden der Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
© Bahnhofkirche. Hauptbahnhof Zürich
www.bahnhofkirche.ch
info(a)bahnhofkirche.ch