Das Weg-Wort – Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich!
Weg-Wort vom 1. Juli 2020
Ebenbild Gottes
Vor dem Hintergrund der ökologischen Krise scheint uns vielleicht bedenklich, wie die
Bibel beginnt. In ihrem allerersten Kapitel wird die Entstehung der Welt in einem Mythos
beschrieben. Nachdem Gott alle Pflanzen und Tiere ins Sein gerufen hat, schafft er den
Menschen. «Und Gott sprach: Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich. Und sie
sollen herrschen über die Fische des Meers und über die Vögel des Himmels, über das Vieh
und über die ganze Erde…» (Gen 1,26).
Nach Gottes Bild seien wir geschaffen, und uns die Erde untertan machen sollen wir! Man
darf annehmen, dass dieser Satz seinen Teil zur Ausbeutung des Ökosystems beigetragen hat.
Wenn man ihn aus seiner Zeit heraus zu verstehen versucht, offenbart er allerdings
überraschende Einsichten. Der hebräische Begriff für «Bild» (צֶ֥לֶם) meint nämlich nicht
eine gemalte Abbildung, sondern eine Statue. Der Mensch wird also als lebendige Statue
Gottes gesehen. Nun muss man wissen, dass es in verschiedenen altorientalischen Reichen
die Vorstellung gab, der König sei «Bild Gottes». Er galt als dessen irdischer
Platzhalter, der an seiner Stelle die Herrschaft ausübte. Er war wie eine lebendige Statue
Gottes.
Und diese Vorstellung finden wir im biblischen Schöpfungsbericht wieder. Nur ist sie jetzt
demokratisiert: Nicht der König ist Statue Gottes, sondern die Menschheit als Ganze. Und
wenn «herrschen» für uns heute negativ klingt, so wurde es im alten Orient durchaus
positiv gesehen: In einer feindlichen Umwelt, in der man den Mächten der Natur
ausgeliefert war und in der Tiere Konkurrenten im Kampf ums Überleben waren, hiess
«herrschen», das Leben der Gemeinschaft sichern, die gefährliche Umwelt soweit gestalten,
dass man in ihr leben konnte. Der Theologe Bernd Janowski schreibt in einem Artikel, dass
die Autoren der Schöpfungsgeschichte vielleicht an die Gestalt des Noah als Idealfigur
dachten, als sie vom Menschen als Bild Gottes schrieben. Noah, der die Tiere in der Arche
versammelt, um das Leben auf dieser Erde vor der totalen Zerstörung zu retten.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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