Weg-Wort vom 23. Mai 2012
Rolltreppenregeln im Bahnhof
Der Ton ist harsch, gehetzt und kommt nicht sehr freundlich an. "Könnten Sie
nicht rechts stehen!" - Und schon drückt sie sich an uns vorbei. Die Eile
hat das Wort, wir murmeln noch etwas von besonderer Freundlichkeit und
schauen, wie die Person dem noch nicht eingefahrenen Zug entgegeneilt.
"Was", fragen wir uns, "sollte diese Eile?" Sie hat nichts gebracht
ausser
ein unangenehmes Gefühl zurückgelassen.
Wollen Sie also verhindern, dass Sie von sinnloser Eile angefaucht,
gemassregelt oder weggedrückt werden, achten Sie darauf, dass Sie ja dort zu
stehen kommen, wo die gelben Füsse aufgemalt sind und Ihre Tasche oder Ihr
Rolli ja nicht die unsichtbare Mittellinie tangiert, dass die Eile
ungehindert an Ihnen vorbeistürmen kann und nicht noch Zeit mit Massregeln
verliert.
Ein "Äxgüsi" und eine Zeitspanne, um sich und seine Sachen neu zu ordnen
liegt bei sinnloser Eile nicht drin. Die, die Rolltreppe stehend benutzen,
wissen doch, wie sie sich zu verhalten haben. Wo kämen wir denn hin, wenn
wir jedes Mal, wenn einer zu links stünde, Äxgüsi sagen müssten.
Sinnlose Eile hat nur sich im Blick, sieht nichts anderes und wenn, dann
stört es sicher, weil sinnlose Eile genau weiss, wohin sie will und wie und
in welcher Zeit. Dass der Zug in unserm Fall noch nicht angekommen, das
gehört zu den Begleitumständen.
Da hat mir jemand einen Spiegel vorgehalten, denn sinnlose Eile ist auch
eine gute Bekannte von mir. Sie besucht mich manchmal, und ich höre dann von
mir wohlgesinnten Menschen, dass ich den Kopf wohl bei andern Dingen gehabt
hätte. Weniger wohlgesinnte sagen mir drei Monate später, ich hätte sie
fast umgerannt, ja nicht einmal gegrüsst. Ich hoffe, dass ich einen Gang
zurückschalten kann, wenn sinnlose Eile mich wieder heimsucht, und ich im
Nächsten um mich, nicht die Person, die mir im Weg steht, sehen muss,
sondern wirklich den Nächsten, den ich lieben kann wie mich selbst.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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