Weg-Wort vom 22. Oktober 2009
Wer den Glauben aufgibt
Du wirst niemals mehr beten,
niemals mehr anbeten,
niemals mehr im endlosen Vertrauen ausruhen
du versagst es dir,
vor einer letzten Weisheit, letzten Güte,
letzten Macht stehenzubleiben
und deine Gedanken abzuschirren
du hast keinen fortwährenden Wächter und Freund für deine sieben
Einsamkeiten
du lebst ohne den Ausblick auf ein Gebirge,
das Schnee am Haupt und Gluten in seinem Herzen trägt
es gibt für dich keinen Vergelter, keinen Verbesserer letzter Hand mehr
es gibt keine Vernunft in dem mehr, was geschieht,
keine Liebe in dem, was dir geschehen wird
deinem Herzen steht keine Ruhestatt mehr offen,
wo es nur zu finden und nicht mehr zu suchen hat
du wehrst dich gegen irgendeinen Letzten Frieden.
Ich bin erstaunt, diese Gedanken bei Friedrich Nietzsche zu finden, hatte
ich doch seit meiner Studienzeit keine Schrift mehr von ihm in der Hand und
schon gar nicht Die fröhliche Wissenschaft, darin obige Worte geschrieben
sind. Grauen überkommt mich beim Gedanken an die Vorstellung, was wäre, wenn
ich ohne einen Gott auskommen, also gott-los leben müsste!
Niemals mehr beten, niemals mehr im endlosen Vertrauen ausruhen!
Denn Beten heisst ja nicht, sich in der Not des Helfers erinnern. Beten
heisst, mit den Worten der Schriftstellerin Luise Rinser, leben im
Bewusstsein der lebendigen Nähe der Gottheit. Gott ist uns immer nahe, aber
wir müssen immer aufs Neue den Weg zu ihm finden. Und wenn wir ihn nicht
finden, trotz allen heissen Betens? Nun: wer heiss zu beten vermag, der hat
Gott bereits gefunden. Unser verzweifelter Wunsch, beten zu können, ist
schon Gebet, ist schon Antwort auf den Anruf Gottes, ist schon Verbindung
mit dem Göttlichen, also mit der Quelle des Lebens.
Und wenn Gott nicht antwortet? Wissen wir, ob er es nicht tut? Vielleicht
besteht seine eigentliche Antwort darin, dass er IST und dass wir in ihm
aufgegangen sind. Wenn dem so ist, und darauf hoffe ich, dann kann ich wie
der Psalmist voller Vertrauen beten: Ich fürchte kein Unheil, denn du bist
ja bei mir.(Ps 23,4)
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Susanne Wey, Iris Daus
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