Weg-Wort vom 1. Oktober 2007
Du sollst nicht lügen - oder: Aufrichtigkeit richtet auf
Ich habe jedes Mal ein schlechtes Gewissen, wenn ich einem Kunden nur die
halbe Wahrheit sage. Ich lüge dann zwar nicht, aber ich weiss genau, dass er
dann so handelt, wie ich es möchte. Und das ist oft gegen seine eigentlichen
Interessen und Überzeugungen. Aber ich stehe unter Druck, erfolgreich sein
zu müssen.
Wenn ich jetzt aber die Politiker sehe, wie sie wider besseres Wissen die
Tatsachen verdrehen bis hin zur Lüge, und das nicht nur im Wahlkampf, dann
könnte ich mir mein schlechtes Gewissen in Zukunft ja sparen. Aber ist das
christlich? fragte der verunsicherte Geschäftsmann.
Offensichtlich sind in gewissen Politikerkreisen bewusst inszenierte
Halbwahrheiten bis hin zu Lügen zum festen Bestandteil der
Massenbeeinflussung geworden. Da soll der Zweck - die Wahrung der eigenen
Interessen und Macht - die Mittel heiligen. In der Politik werde gelogen
wie im täglichen Leben auch, denn die Menschen in der Politik sind nicht von
einer anderen Welt, schreibt Bundesrat Moritz Leuenberger in seinem neuen
Buch.
Die Bibel spricht da aber eine deutlich andere Sprache (Eph 4,22-25):
Legt eure frühere Lebensweise ab! Ja, legt den ganzen alten Menschen ab,
der seinen Begierden folgt! Die betrügen ihn nur und führen ihn ins
Verderben. Lasst euch in eurem Denken erneuern durch den Geist, der euch
geschenkt ist.
Zieht den neuen Menschen an, den Gott nach seinem Bild geschaffen hat und
der gerecht und heilig lebt aus der Wahrheit Gottes, an der nichts
trügerisch ist.
Legt deshalb das Lügen ab und redet untereinander die Wahrheit; denn wir
alle sind als Glieder am Leib von Christus miteinander verbunden.
Es gehört also zur christlichen Grundhaltung, untereinander die Wahrheit zu
sagen. Vorausberechnete Unaufrichtigkeit und bewusste Täuschung zum Nachteil
anderer und zum eigenen Vorteil widersprechen dieser christlichen
Lebenseinstellung.
Natürlich sind bedingungslose Ehrlichkeit und Offenheit nicht immer
angezeigt. Denn sie können Menschen in bestimmten Situationen verletzen oder
gefährden. Aufrichtigkeit braucht darum Einfühlungsvermögen und eine Portion
Klugheit und eine Haltung, die nicht vom Recht-haben-wollen herkommt
sondern von Wertschätzung und Zutrauen. Freimütig seine Meinung zu sagen,
ist eine Frage der Beziehung und des Vertrauens.
Für den französischen Politiker Jules Ferry ist Aufrichtigkeit eine Tugend,
welche ihren Lohn schon im Namen mit sich führt: Sie richtet auf.
Aufrichtige Menschen können aufrecht gehen. Bei ihnen wissen wir, woran wir
sind. Sie sind nicht abhängig von unserer Zustimmung. Sie sind nicht darauf
angewiesen, bei allen beliebt zu sein. In ihrer Gegenwart werden wir
ermutigt, selber aufrichtig zu sein und aufrecht zu gehen.
© Bahnhofkirche
Hauptbahnhof Zürich
Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Sr. Anna Affolter, Sr. Zoe Maria Isenring, Susanne Wey
www.bahnhofkirche.ch