Weg-Wort vom 26. Juli 2007
Eisberg
Und wenn der kalte Nordwind weht, so wird das Wasser zu Eis; wo Wasser ist,
da weht er darüber hin und zieht dem Wasser einen Harnisch an.
(Sirach 43:22)
Gerate ich in Schwierigkeiten mit andern Menschen, hilft es mir an einen
Eisberg zu denken. Ich nutze dieses Bild, wenn das Gespräch hapert oder ich
spüre, dass ich gegen etwas Unsichtbares stosse.
Vom Eisberg ragt nur der kleinere Teil aus dem Wasser. Vergleichen wir ihn
mit einem Menschen, dann entspricht der sichtbare Teil des Berges dem, was
wir an ihm wahrnehmen können. Was uns an ihm oder ihr stört, scheint leicht
veränderbar. Wir meinen darum oft, es genüge dem andern dies zu sagen. Dann
werde sie oder er ein Einsehen haben und sich in unserm Sinn verändern.
Das geht leider nur in seltenen Fällen. Viel eher wird daraus ein schwer
fassbarer Konflikt. Beim Vergleich mit dem Eisberg steht das, was unter der
Oberfläche ist für unseren Glauben und unsere Wertvorstellungen. Dazu gehört
auch, was wir unbewusst übernommen haben oder zu wissen meinen. Diese
unsichtbare Seite einer Person beeinflusst das Verhalten gegenüber andern
weit mehr. Übergeht man diese Aspekte eines Menschen, kollidiert man mit der
Masse unter der Oberfläche. Bei Konflikten aber ist man darum gut beraten
auch die unsichtbare Seite einer Person einzubeziehen.
Denn dort liegt der Schlüssel zur besseren Lösung. Will man einen Konflikt
ansprechen, ist es wichtig, etwas über seine Gefühle mitzuteilen; zu sagen,
wie es einem geht. Das ist dann auch eine Einladung an das Gegenüber etwas
mehr über sich zu verraten. Wenn sich zwei Menschen über ihr befinden
austauschen, zeigen sie einander etwas von ihrer unsichtbaren Seite. Sie
erfahren voneinander, wo Meinungen und Befürchtungen festgefroren sind. Ja,
sie stellen vielleicht sogar fest, wo sie selbst erstarrt sind.
Darum ist es ratsam sich auch zu fragen, wie es unter der eigenen Oberfläche
aussieht. Was glaube ich, was ist mir wichtig? Dann kann man besser
verstehen, warum das Gegenüber anders ist.
Vor Gott ist er oder sie deshalb nicht weniger wert. Die Liebe Gottes hat
uns nicht alle gleich, aber gleichwertig geschaffen. Vermögen wir das
Gegenüber als ein Geschöpf Gottes zu sehen, beginnen die Eisberge zu
schmelzen. Mit der Wärme kommt Bewegung in die Beziehung. Man taut auf und
tauscht aus. Wer sich so als ganzer Mensch respektiert und angenommen fühlt,
kann Unterschiedlichkeit ertragen. Dann lassen sich Konflikte lösen.
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Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Sr. Anna Affolter, Sr. Zoe Maria Isenring, Susanne Wey
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