Weg-Wort vom 5. Mai 2006
Aufgewertete Alltagsarbeit
Wir haben in dieser Woche den 1. Mai, den Tag der Arbeit, begangen. Ich
möchte in die Mitte des heutigen Wegwortes zwei kurze biblische Geschichten
stellen, die zeigen, wie unsere Alltagsarbeit aufgewertet wird, wenn sie in
der Perspektive vom Glauben gesehen wird (vgl. Mt 13,31-33).
In der ersten Erzählung ist die Rede von einem Bauern, der über den Acker
geht und ein Senfkorn sät. Bei der Ernte ist er erstaunt über die grosse
Staude, die daraus wird. Zwar ist es merkwürdig, dass der Bauer nur ein
Senfkorn in seinen Acker sät. Es kommt hier offenbar nicht auf Saat und
Ernte an, sondern auf die Eigenart des Senfkorns, auf den
Grössenunterschied zwischen dem Samen und der voll ausgewachsenen Staude.
In der zweiten Geschichte schauen wir in den Backtrog einer Frau. Arbeitende
Frauenhände werden sichtbar, die Hefe unter das Mehl mischen. Der Erzähler
lässt die Hörer und Hörerinnen staunend auf den schweren Teig schauen, der
lebendig wird.
Jesus erwähnt die Tätigkeiten der beiden Menschen nicht um ihrer selbst
willen, sondern er verbindet ihre Arbeit mit dem Reich Gottes. Die
Tätigkeiten hören auf, nur gewöhnliche Tätigkeiten zu sein. In den zwei
Geschichten werden die Hände des Bauern, der ein Senfkorn aussät, und die
Hände der Hausfrau, die den Brotteig anfassen, transparent auf Gott hin. Die
Menschen, die die Geschichten hören, sehen einerseits die Alltagsarbeit
eines Mannes und einer Frau und zugleich sehen sie die lebensspendende Kraft
Gottes.
In unserer säkularisierten Welt ist Arbeit einfach Arbeit und wird nicht in
Beziehung zu Gott gesehen. Der moderne Mensch geht über ein Ackerfeld und
versteht das Wachstum als biologischen Vorgang. Und die Hausarbeiten sind
einfach naturgegebene Notwendigkeiten. Was sollen schon kochen, flicken,
putzen mit dem Reich Gottes zu tun haben?
Jesus aber will sagen: Jede Arbeit kann durchsichtig auf Gott und sein Reich
werden. Wenn unsere Arbeit dem Leben dient, wenn sie an den Bedürfnissen der
Menschen ausgerichtet ist, wenn durch unsere Arbeit Gemeinschaft möglich
wird, wenn unsere Arbeit Hoffnungsarbeit ist, die die Zukunft von Menschen
sichern will, besteht eine Beziehung zwischen unserem Tun und dem
Gottesreich.
© Bahnhofkirche
Hauptbahnhof Zürich
Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Sr. Anna Affolter, Sr. Zoe Maria Isenring, Hans-Ruedi Rüfenacht
Evangelisch-reformierte und Römisch-katholische Kirche
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