Weg-Wort vom 24. September 2008
Wahre Grösse
Die Passhöhe öffnete einen einzigartigen Blick in die Bergwelt. Majestätisch
erhob sich ein Bergmassiv neben dem anderen in den tiefblauen Himmel.
Gleissend strahlte der Firn im Sonnenlicht. Tief unten verloren sich Hügel,
Dörfer und Strassen in den Weiten des Horizontes.
Staunend, ja fast andächtig genoss ich diesen wunderbaren Blick auf unsere
Welt. Angesichts ihrer gewaltigen Grösse und Schönheit fühlte ich mich
klein, ja winzig. Ehrfurchtsvoll und demütig stand ich da. Ich spürte aber
auch, wie dieses Gefühl der ehrfürchtigen Demut mich innerlich stärkte. Ich
empfand mich als Teil dieser unermesslichen, wunderbaren Schöpfung.
Demut ist ein eher schwieriges und missverständliches Wort. Es klingt nach
Unterwürfigkeit, Sich-selbst-Schlechtmachen und mangelndem Selbstwertgefühl.
Aber gerade das ist es nicht. Im Wort selbst ist das Wort Mut enthalten. Das
entspricht eher dem biblischen Verständnis von Demut:
Begegnet einander in Demut! Denn Gott tritt den Stolzen entgegen, den
Demütigen aber schenkt er seine Gnade. Beugt euch also in Demut unter die
kraftvolle Hand Gottes, damit er euch erhöht, wenn die Zeit gekommen ist.
Werft alle eure Sorge auf ihn, denn er kümmert sich um euch. (1Petr 5,5-7)
Nach Margrit Balscheit ist Demut Mut, vom hohen Ross herunterzukommen.
Demut ist Grösse, die sich bücken kann. Sie ist dort möglich, wo wir
innerlich stark sind. Wenn wir wissen, wer wir sind und was wir wert sind,
brauchen wir uns nicht ins Zentrum zu stellen. Wir können uns ruhig mal
zurücknehmen. Auch etwas einstecken, ohne beleidigt zurückzugeben.
Und wer ganz oben bei Gott beheimatet und verankert ist, wer sich ihm
in Demut verdankt weiss und seine eigene Begrenztheit annimmt, der kann aus
freien Stücken auch mal den Weg untendurch antreten. Der kann durchaus auf
ihm zustehende Privilegien zugunsten anderer verzichten. Der kann es sich
leisten, grossmütig und demütig zugleich zu sein. Ein Mensch unter Menschen
eben.
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Hauptbahnhof Zürich
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