Das Weg-Wort Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich!
Weg-Wort vom 11. März 2020
Der Böse und sein Hirn
Die Erforschung des menschlichen Gehirns hat im 19. Jahrhundert grosse
Fortschritte gemacht. Man begann, die Zusammenhänge zwischen spezifischen
Hirnregionen und menschlichem Verhalten zu verstehen.
Das führte zur optimistischen Annahme, irgendwann werde man jedem Verhalten,
jeder charakterlichen Eigenart ein anatomisches Merkmal im oder am Hirn
zuordnen können.
Besonders interessierten sich die Forscher für einen Aspekt: Das Böse. Wenn
es gelänge, den Trieb zum Verbrechen im Gehirn zu verorten! Und wenn es
damit gelänge, Böses zu verhindern!
Ein besonders entschiedener Vertreter dieser Bemühungen war der italienische
Kriminalanthropologe Cesare Lombroso (1835 1909).
Er vertrat die Ansicht, dass Kriminalität angeborenes Verhalten sei und man
den Verbrechertypus auf Grund bestimmter körperlicher Merkmale erkennen
könne.
Deshalb bringe es auch nichts, Täter zu bestrafen. Vielmehr müssten sie
bereits vor einer Tat weggesperrt werden. Wenn man Lombrosos Ausführungen
heute liest, schüttelt man den Kopf.
Welch gefährliche wissenschaftliche Selbstüberschätzung! Und welche Folgen
solche Theorien für Menschen haben!
Zeitsprung: Die forensische Psychiatrie unserer Zeit hat ausgeklügelte
Verfahren entwickelt, um Risikoanalysen bei Tätern durchzuführen.
Das in Zürich entstandene Prognoseinstrument FOTRES ist ein Computerprogramm
mit hunderten von Kriterien, mit denen eine Gefährlichkeitsprognose erstellt
wird.
Die Masse aller beim Täter erhobenen Verhaltensweisen, Fantasien, Gedanken
etc. bringt ein Risikoprofil hervor, mit dem Therapierbarkeit und
Rückfallwahrscheinlichkeit beurteilt werden.
Es geht also auch hier wie bei Lombroso nicht um Delikte, die begangen
wurden, sondern um mögliches Verhalten in der Zukunft. Kritiker beurteilen
FOTRES als «statistische Menschenvermessung» («Die Zeit»10/2018).
Die Konsequenzen können gravierend sein: Nicht wenige Täter bleiben als
Folge solcher «objektivierter» Prognosen über Jahrzehnte, wenn nicht
lebenslang im Gefängnis verwahrt.
« Mörder-Räuber-Typen »
Illustration aus: Cesare Lombroso,
Luomo delinquente, Torino, 1897.
Quelle : Wikimedia.
Mit freundlichen Grüssen
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