Weg-Wort vom 25. Juni 2008
Ansehen
Als du mich ansahst, durchzuckte es mich. Erinnern Sie sich an eine solche
Erfahrung? Da lebt man so dahin, mit den alltäglichen Schwankungen des
Befindens und der Stimmung. Man tut, was man tun muss; alles scheint
vertraut und bekannt und dann das. Manche Liebesgeschichte hat so
begonnen, mit diesem eigentümlichen Blick.
Mit den Blicken hat es ja eine besondere Bewandtnis. Sie scheinen für die
Wahrnehmung der Oberfläche zuständig. Eben für das, was vor Augen liegt. Sie
können aber auch ganz tief reichen, bis ins Innerste hinab. Dann liegt auf
einmal das Verborgenste offen; sogar das, was uns selbst verborgen war.
Dass Blicke töten können, sagt ja schon der Volksmund. Sie können aber auch
lebendig machen. Als du mich ansahst, durchzuckte es mich. Und ich habe
begonnen, mich selbst neu zu sehen. Der Blick des anderen, der anderen, der
mich so durchdringt, trifft. Er rührt das Innerste auf und ich entdecke
mich selbst auf eine Weise, die ich noch nicht kannte.
Von einem anderen, einer anderen angesehen zu werden das verleiht uns ein
Ansehen. In diesem Ansehen drückt sich eine grosse Anerkennung aus. Der
andere kommt nicht mit Erwartungen auf mich zu oder mit Forderungen. Er oder
sie bringt damit nicht zum Ausdruck, wie ich zu sein hätte: strebsam, oder
für das Wohl der anderen da, oder immerfort zur Anpassung bereit.
Das Ansehen ist keine Zuschreibung, die mich festlegt. Vielmehr bringt sie
zum Ausdruck, dass ich bin. Dass ich also beim anderen eine Bedeutung habe,
die ich selber vielleicht noch gar nicht erfasst habe. Das zu erleben ist
beglückend, es ist eine Freude und erreicht mich in der Tiefe meines
Herzens.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
© Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Sr. Zoe Maria Isenring, Sr. Anna Affolter, Susanne Wey
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