Weg-Wort vom 22. September 2010
Zwischen Angst und Hoffnung
In den ersten Jahren haben wir zu viel gehofft, meinte die Bäuerin.
Verschiedene Ernteausfälle wegen schlechten Wetters konnten sie gerade noch
verkraften. Aber ihre Ängste stiegen ins Unermessliche. Sie konnte kaum mehr
schlafen, wenn das Wetter unsicher war. Sie mussten dann ihre Ängste
respektieren und investierten in Schutzmassnahmen, soweit ihnen das möglich
war. Seither sind ihre Hoffnung und die Ängste wieder mehr im Gleichgewicht.
Trotz stets extremeren Wetters in den letzten Jahren hat sie nur noch selten
schlaflose Nächte.
Ich bin völlig hoffnungslos und verzweifelt! sagte die Frau. Nach über
zweihundert Absagen auf ihre Bewerbungen hatte sie nur noch Angst vor jeder
weiteren Zurückweisung. Sie war nicht mehr in der Lage, sich auch nur auf
ein einziges Stellenangebot hin zu bewerben. Erst als sie über ihre Ängste
reden und sie annehmen konnte, hatte sie auch wieder Raum für die Hoffnung.
Wir brauchen beide zum Leben: Ohne Hoffnung blockiert uns die Angst. Ohne
Ängste aber führt die Hoffnung in die Überschätzung oder gar ins Unglück.
Wichtig ist, die angemessene Balance zu finden. Denn die Hoffnung macht die
Angst erträglich. Während die Angst die Hoffnung klarer sehen lässt.
Die Hoffnung gibt sich mit dem So ist es nun einmal, mit den
unveränderlichen Sachzwängen nicht zufrieden. Sie hält zum Beispiel dem
hoffnungslosen Hunger und dem Elend auf der Welt eine andere Perspektive
entgegen:
Sie schaut nicht, weil sich ja doch nichts ändern lasse, einfach nicht mehr
hin. Sie bleibt dran, bringt die Not stets neu ins Gespräch, lässt nicht
locker und tut, was sie vermag. Denn wer hofft, weiss, dass sich
Verhältnisse und Menschen ändern lassen. Und dass ohne Hoffnung kein Leben
möglich ist.
Hoffnung aber darf nicht blind sondern muss begründbar sein. Für Christen
ist sie nicht einfach eine Verlängerung der menschlichen Hoffnung bis in den
Himmel. Sie ist vielmehr unsere konkrete Antwort auf die Liebe, die Gott uns
und der Welt entgegen bringt, deren Kraft in den Worten und Taten Jesu für
uns gegenwärtig geworden ist.
Auch wenn vieles nach menschlichem Ermessen als hoffnungslos erscheint, der
Glaube an seine Liebe gibt uns die Kraft, trotz unserer Ängste in allem
stets in der Hoffnung zu verbleiben.
Wir wünschen Ihnen einen guten und gesegneten Tag!
Die Seelsorgenden der Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
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