Weg-Wort vom 19. Februar 2007
Zwiegespräch
Jetzt verstehe ich, warum sich meine Partnerin von mir nie wirklich gehört
und verstanden fühlt. Ich unterbreche sie ja ständig, korrigiere sie oder
stelle etwas in Abrede. Ich lasse sie gar nie ausreden. Im Grunde hat sie
nicht die Möglichkeit, bzw. den nötigen Raum, mir das zu sagen, was sie
eigentlich will. Kein Wunder, schweigt sie immer häufiger.
Es war ein hartes Stück Arbeit, bis der Mann sich das eingestehen konnte.
Bis er erkannte, dass er seiner Partnerin und sich selber keine Chance gab,
sie zu ver-stehen. Er hatte nie gelernt, jemandem wirklich zuzuhören.
Es war ihm auch sofort klar, dass er das nicht von heute auf morgen ändern
konnte. Denn die Haltung, immer korrigierend einzugreifen, war ihm schon
längstens in Fleisch und Blut übergegangen, nicht nur im partnerschaftlichen
Gespräch. Er wusste darum, dass er die neue Haltung des Zuhörens erst
erlernen und vor allem einüben musste.
Eine solche Übungsgelegenheit war für ihn und seine Partnerin die Form des
Zwiegesprächs*. Einmal in der Woche sassen sie während anderthalb Stunden
zusammen und sprachen ausschliesslich von sich und dem, was sie innerlich
bewegte und umtrieb, jeweils eine Viertelstunde lang, während der andere nur
zuhörte, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Dann wechselten sie.
Schon bei den ersten Gesprächen entdeckten sie, dass nur von sich und nicht
über den andern zu reden noch anspruchsvoller war als das Zuhören. Ein
anderes Paar, das diese wöchentlichen Zwiegespräche schon seit Jahren nicht
mehr missen mochte, half über die schwierige Anfangszeit hinweg.
Heute sind beide überzeugt, dass sie ohne die Zwiegespräche nicht mehr
zusammen wären. Diese Gespräche haben ihnen ihre Seelen geöffnet. Sie
konnten sich gegen-seitig immer besser und in einer Tiefe verstehen, in der
sie einander so nah waren wie nie zuvor.
Natürlich haben sie auch jetzt noch ihre Auseinandersetzungen. Auch wenn es
in manchem Streit scheinbar nicht so aussieht: Sie haben mittlerweile ein
starkes, grundlegendes Vertrauen zu einander, dass sie sich immer wieder
finden
und sich nahe sein werden.
Letzthin sagte der Mann: Ich habe früher keine Ahnung gehabt, was Beziehung
wirklich bedeutet. Ich bin so dankbar, welche Höhen und Tiefen, welche Nähe
und Liebe zu einem andern Menschen für mich möglich geworden sind.
* nach: Michael Lukas Möller, Die Wahrheit beginnt zu zweit
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