Weg-Wort vom 26. November 2013
Abhängigkeit
Meine Mutter ist im Altersheim und kämpft mit sich und der Abhängigkeit. An
einem Tag, an dem es ihr nicht so gut geht, schaut sie mich an und meint:
"Denkst du, das sei einfach? Nichts kann ich mehr selber machen oder
entscheiden. Manchmal fühle ich mich wie im Gefängnis!" Angewiesen auf den
Rollstuhl ist ihre Freiheit sehr eingeschränkt. Sie, die manchmal lieber
eine Busse in Kauf genommen hat, statt Gurten zu tragen im Auto, muss viel
von ihrer heiss geliebten Freiheit aufgeben.
Das Rad der Zeit dreht sich. Wir kommen in die Welt, hilflos und auf Eltern,
die uns nähren, waschen, kleiden und erziehen, angewiesen. Und am "andern
Ende" des Lebens steht wieder die gleiche Bedürftigkeit. Nur sind unser
Wille und unser Freiheitsbedürfnis viel grösser. Wir sind erwachsen, haben
gelernt, selber Verantwortung zu tragen, und plötzlich sind wir wieder
eingeschränkt und unselbstständig. Wir sind auf Hilfe angewiesen.
"Amen, amen, das sage ich dir: Als du noch jung warst, hast du dich selbst
gegürtet und konntest gehen, wohin du wolltest. Wenn du aber alt geworden
bist, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und
dich führen, wohin du nicht willst." (Joh 21,18)
Nein, die Bibel soll hier kein Trost sein. Das Zitat zeigt höchstens auf,
dass das Thema Abhängigkeit schon zu biblischer Zeit aktuell war. Menschen
haben sich immer schon nach Unabhängigkeit gesehnt. Gerne verdrängen wir,
dass wir eingebunden sind in die grosse Weltgemeinschaft, und dass da eine
grössere Macht ist, die hinter und in Allem wirkt. Wir dürfen aber
zuversichtlich sein, denn Gott meint es gut mit uns.
Wie gehen wir nun damit um?
Ich kann meiner Mutter die Last nicht abnehmen. Vielleicht hilft es ihr,
wenn ich zuhöre, wenn sie ihre Wut abladen kann. Am besten, wir stellen uns
in den Dienst Gottes und tun unseren Mitmenschen Gutes, damit sie spüren
können, dass wir (und Gott) es gut mit ihnen meinen.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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