Das Weg-Wort - Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich!
Weg-Wort vom 11. September 2020
Splitter und Balken
Niemand hat es gern, Besserwisserei und Kritiksucht ausgesetzt zu sein.
Über Menschen, welche bei den anderen die kleinsten Fehler suchen und
anprangern, die eigenen aber nicht wahrhaben wollen, sagt man, sie
sollen erst einmal vor ihrer eigenen Haustüre kehren. In der Feldrede
des Lukas-Evangeliums, dem Pendant zur Bergpredigt, drückt es Jesus mit
diesem Bild aus: „Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders,
aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht? Wie kannst du
zu deinem Bruder sagen: Bruder, lass mich den Splitter aus deinem Auge
herausziehen!, während du selbst den Balken in deinem Auge nicht siehst?
Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; dann kannst du
zusehen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen." (Lk
6,41f)
Dass jemand mit einem Balken im Auge herumlaufen könnte ohne ihn zu
bemerken, scheint eine ganz und gar absurde Vorstellung zu sein. Ich
stelle mir vor, wie Jesus bei seinen Zuhörenden damit Gelächter
ausgelöst hat. Doch halte ich das Bild für bewusst gewählt, als Hinweis
möglicherweise, welch absurde Formen unsere Verdrängungsmechanismen
annehmen können, und wie gewaltig gross unsere blinden Flecken bisweilen
sind.
Ein Splitter im Auge ist eine unangenehme Sache, schmerzhaft und
hinderlich. Das Angebot ihn herauszuziehen wäre so gesehen eine
freundliche und willkommene Hilfe. Und Jesu Hinweis in der Feldrede
liesse sich folgendermassen verstehen: „Kümmere dich nicht dauernd bloss
um andere. Sorge auch gut für dich und entferne, was dich plagt und
behindert. Hab den Mut, hinzuschauen und Dinge auch für dich zum
Besseren zu verändern." Zum Hauptgebot gehört schliesslich: „Liebe
deinen Nächsten wie dich selbst!"
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
Gemälde von Domenico Fetti in Wikimedia Commons
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