Weg-Wort vom 15. August 2006
Recht und Gerechtigkeit
Ich kann die Bilder vom Krieg nicht mehr sehen. Ich halte das nicht aus.
Diese sinnlose Zerstörung. Die Not und Verzweiflung hunderttausender
vertriebener Menschen. Die grausame Tötung so vieler Kinder, Frauen und
Männer. In mir kommt eine solche Wut hoch auf diese Gewaltmenschen. Und doch
fühle ich mich hilflos und ohnmächtig.
So und ähnlich haben sich viele Menschen mir gegenüber geäussert. Um sich
aber nicht immer wieder ihrer eigenen Ohnmacht und Wut auszusetzen, schauen
sie lieber nicht mehr hin. Reden sie nicht darüber. Schweigen sie.
Vielleicht hilft in dieser Situation ein Gleichnis Jesu (Lk 18,1-4):
Mit einem Gleichnis sagte Jesus seinen Jüngern, dass sie allzeit beten und
darin nicht nachlassen sollten: In einer Stadt lebte ein Richter, der Gott
nicht fürchtete und die Menschen verachtete. In der gleichen Stadt lebte
auch eine Witwe. Sie kam immer wieder zu ihm gelaufen und bat ihn: Verhilf
mir zu meinem Recht!
Lange Zeit wollte der Richter der Witwe nicht helfen, doch schliesslich
sagte er sich: Es ist mir zwar völlig gleichgültig, was Gott und Menschen
von mir halten; aber weil die Frau mir lästig wird, will ich dafür sorgen,
dass sie ihr Recht bekommt, damit sie nicht am Ende kommt und mir ins
Gesicht schlägt.
Jesus ermutigt uns, im Beten um Recht und Gerechtigkeit nicht nachzulassen.
Es immer wieder zu tun, trotz allem scheinbaren Misserfolg. Das Gleichnis
macht aber gleichzeitig auch deutlich: Wir sollen Recht und Gerechtigkeit
fordern, unablässig, hartnäckig, auch wenn wir damit lästig werden.
Wir dürfen nicht wegsehen und schweigen!
Und damit verantwortungsloses, menschenverachtendes Unrecht tolerieren.
Wir sind aufgerufen, über das Unrecht der Gewaltmenschen bei uns, im Nahen
Osten und sonst wo auf der Welt zu reden, privat und öffentlich.
Das Recht für die heutigen Witwen (Kinder, Frauen und Männer)
einzufordern.
Ihrem einsamen Schreien, ihrer Not und ihrem Recht millionenfach Worte zu
geben.
Darin nicht nach zu lassen. Hartnäckig, bis zum Lästigwerden! Bis die
Gewaltmenschen ein Einsehen haben.
Das unablässige Beten gibt uns die Kraft dazu.
© Bahnhofkirche
Hauptbahnhof Zürich
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Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Sr. Anna Affolter, Sr. Zoe Maria Isenring, Hans-Ruedi Rüfenacht
Evangelisch-reformierte und Römisch-katholische Kirche