Weg-Wort vom 9. März 2007
Zum ersten Gebot: Befreit von versklavenden Bindungen und Mächten
Seit dem 19. Jahrhundert herrscht in unserer Gesellschaft ein
liberalistisch-optimistisches Freiheitsverständnis vor, dessen Grundsatz
lautet:. Laisser faire, laissez aller. Dieses Machen- und Gewährenlassen
führe den Menschen zu Fortschritt und Freiheit.
Biblisches Freiheitsverständnis ist realistischer. Die Bibel ist sich der
dauernden Gefährdung menschlicher Freiheit bewusst. Sie weiss: Zwischen den
Anfechtungen von innen und den Verführungen von aussen ist der Weg der
Freiheit schmal und leicht zu verfehlen. Der Mensch ist vielen versklavenden
Bindungen und Mächten ausgeliefert; er ist stets versucht, sich Götzen zu
schaffen und sie zu verehren.
Die Reformatoren haben von unserem Herzen als einer Götzenfabrik
gesprochen. Ein Götze ist alles auf der Welt, wovon man Leben erwartet, ohne
dass es davon zu erwarten gilt. Von vielem anderen erwarten wir Leben: vom
beruflichen Aufstieg, vom wachsenden Bankkonto, von den Kindern, die das
erreichen müssen, was die Eltern nicht geschafft haben, von technischen
Errungenschaften. Schliesslich suchen wir alle ein wenig mehr oder weniger
das Leben darin, dass wir über andere Menschen Macht ausüben, sie uns
gefügig zu machen. An all dem kann durchaus Gutes sein solange wir uns
nicht bildlich gesprochen - vor ihm niederwerfen und es anbeten.
Dieser Versuchung des menschlichen Herzens wird im ersten Gebot energisch
widersprochen, wenn es da heisst: Du sollst ausser mir keine anderen Götter
verehren (2 Mo 20,3). Wenn wir diese Worte hören, sollen wir begreifen:
Gott will uns frei machen, uns Leben in Fülle schenken, indem er uns zum
Glauben an ihn einlädt.
Das erste Gebot wird auch als das grösste und wichtigste Gebot bezeichnet.
Mit Recht hat Martin Luther immer wieder betont, dass das erste Gebot die
Vorwegnahme und Zusammenfassung des ganzen Evangeliums sei. Denn das ganze
Evangelium gehe darauf hinaus, dass wir Gott bedingungslos und ohne alle
Angst vertrauen.
Dies ist allerdings keine leichte Rede. Keinem Menschen ist es angenehm, auf
die für ihn attraktiven Götzen verzichten zu müssen.
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Hauptbahnhof Zürich
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Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Sr. Anna Affolter, Sr. Zoe Maria Isenring, Susanne Wey
Evangelisch-reformierte und Römisch-katholische Kirche