Weg-Wort vom 2. November 2010
Allerseelen
Wenn es mir irgendwie möglich ist, nehme ich an den Tagen um Allerseelen am
gemeinsamen Gräberbesuch meiner Heimatgemeinde teil, wo meine Eltern
begraben sind. Dabei werden im Gottesdienst auch die Namen der im
vergangenen Jahr ausder Gemeinde Verstorbenen genannt und für sie je eine
Kerze angezündet.
Gemeinsam unserer Toten zu gedenken, hat für mich etwas Tröstliches und
Verbindendes zugleich. Über meine privaten Grabbesuche hinaus erlebe ich,
wie durch das gemeinsame Tun die Erinnerung an unsere Verstorbenen in
besonderer Weise lebendig wird, sie uns in der Trauer vereint und Trost und
Kraft zu spenden vermag. Ich erfahre dabei immer wieder neu, dass der Tod
unserer Lieben nicht das Letzte ist, sondern dass sie auch weiterleben in
den Herzen vieler.
Der Gräberbesuch führt uns zudem unsere eigene Vergänglichkeit vor Augen.
Im unausweichlichen Tod sind wir alle mit einander verbunden. Er macht uns
alle gleich ohne Ansehen der Person. Ob arm oder reich, bekannt oder
weniger bekannt. Der Tod hebt alle Unterschiede auf! Verschieden ist, wie
wir mit ihm umgehen.
Jeder Friedhofsbesuch lässt mich zudem intensiver am Leben teilnehmen. Das
Bewusstsein, jeder Tag könnte mein letzter sein, vermag mich aus dem
Verhaftetsein im Vergangenen und aus den Erwartungen an die Zukunft zu
lösen. Es unterstützt mich, vermehrt bewusst in der Gegenwart, im Hier und
Jetzt, zu leben und mehr mich selber zu sein, mich so anzunehmen wie ich
bin.
Die Gedanken an meine Vergänglichkeit halten in mir stets auch die Fragen
wach:
Lebe ich so, wie es heute meinem Wesen entspricht?
Mache ich das Beste aus meinen Fähigkeiten und Möglichkeiten, soweit ich es
vermag?
Und auch: Womit, bzw. mit wem lebe ich unversöhnt?
Wo ist für mich jetzt Versöhnung angezeigt?
Der Glaube, dass meine verstorbenen Angehörigen in der Erfüllung ihrer
tiefsten Sehnsucht leben, gibt mir jeweils Trost und Kraft. Er lässt mich
meine eigene
tiefe Sehnsucht spüren, bedingungslos angenommen, gehalten und geborgen
zu sein und dass auch darum der Tod für mich nicht das Letzte ist.
Wir wünschen Ihnen einen guten und gesegneten Tag!
Die Seelsorgenden der Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
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