Weg-Wort vom 30. Oktober 2006
Und es lohnt sich doch!
Der Mann, ein engagierter und überzeugter Christ, wusste nicht mehr weiter.
Seit Jahren kaufte er so weit möglich Produkte aus dem fairen Handel (wie
Max Havelaar, Claro, usw.). Er spendete namhafte Beiträge für kleinräumige
Entwicklungshilfeprojekte, vor allem in Afrika. Er setzte sich zudem ein für
Umweltanliegen und war langjähriges Mitglied entsprechender Organisationen.
Aber jetzt sah er in allem keinen Sinn mehr. Er war zutiefst enttäuscht, ja
fast wütend mit sich und der Welt:
Das alles bringt ja doch nichts! Was hat sich schon geändert? Noch immer
hungern die Menschen. Die Umweltprobleme nehmen zu. Im Nahen Osten und im
Irak wird es immer noch schlimmer. Und auch bei uns nehmen Vandalismus,
Gewalt und Raserei immer grössere Ausmasse an.
Ich halte das nicht mehr aus! Das alles erdrückt mich fast. Ich fühle mich
ohnmächtig und hilflos. Am liebsten würde ich keine Zeitungen mehr lesen und
keine Nachrichten mehr hören. Aber das ist ja auch keine Lösung! Ich kann
nicht so tun, als ob mich das alles nichts anginge.
Ich kann diesen Mann gut verstehen. Aber ich bin froh, muss ich nicht mehr
wie in meinen jungen Jahren die Welt verändern. Es war ein schmerzhafter
Prozess, meine Vorstellungen von einer hungerlosen, gewaltfreien und
gerechten Welt loszulassen.
Aus den Forderungen aber sind Träume, ist eine entsprechende Vision
geworden: Ich muss nicht mehr, sondern ich kann für eine freiere und
liebevollere Welt alles tun, was in meinen Möglichkeiten steht. All das, was
der Mann, dieser überzeugte Christ, auch tut. Aber es ist genährt aus
meiner Vision mein selbst gewählter Beitrag, der mir gut tut, der mich
erfüllt, weil er genau das ist, was ich tun kann. So wenig es auch ist,
angesichts der Probleme in der Welt.
Hermann Hesse spricht von den kleinen Wegen, die sich trotz allem lohnen:
In einer Sache schweigen, über die alles klatscht, ist schon etwas. Über
Menschen und Einrichtungen ohne Feindschaft lächeln, das Minus an Liebe in
der Welt durch ein kleines Plus an Liebe im Kleinen und Privaten bekämpfen:
durch vermehrte Treue in der Arbeit, durch grössere Geduld, durch Verzicht
auf manche billige Rache des Spottes und der Kritik: das sind allerlei
kleine Wege, die man gehen kann.
Und was vor allem hilfreich ist: Ich kann meine Probleme und die der Welt,
meine Vision und meine Beiträge immer wieder Gott überlassen, sie in seine
Obhut legen. Und dann mit gestärkter Vision, mit neuem Mut und frischer
Kraft auf meinen kleinen, ganz persönlichen Wegen weiter gehen.
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Hauptbahnhof Zürich
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