Weg-Wort vom 28. Januar 2008
Von der Gewalt- zur Gesprächskultur
Zurzeit wird viel über Jugendgewalt gesprochen und geschrieben. Dabei ist
von der Männergewalt, von der viel mehr Menschen für ihr Leben betroffen
sind, nur selten die Rede:
Die junge Mutter ist stolz auf ihren Sohn. Er soll es einmal besser haben
als sie. Sie erinnert sich nur ungern an die offene, teils subtile Gewalt in
ihrer Familie. Sie hat beide, Mutter und Vater, trotz allem irgendwie gern.
Sie würde ihnen aber nie ihren Sohn zum Hüten geben.
Ihr Familienalltag war beherrscht von einer Kultur der Gewalt. Was der Vater
sagte, hatte zu gelten. Er hatte immer recht. Widerrede wurde mit drohendem
Unterton zurückgewiesen. Beim Essen wurde zumeist über alles und jeden
hergezogen und das nicht mit unzimperlichen Worten. Schläge gab es nur für
ihren Bruder, selten zwar. Aber fast täglich wurde irgendwer angeschrieen.
Immer wieder knallten die Fäuste auf den Tisch oder die Türen ins Schloss.
Ihre Klagen bei der Mutter endeten meistens mit dem Satz: Aber er meint es
doch nicht so!
Sie hatte das Glück, jedes Jahr Ferien bei der Familie ihrer Freundin
verbringen zu können: Da habe ich erlebt, dass man am Tisch miteinander
reden kann, auch über Sorgen, Ängste, Unsicherheiten und Freuden. Dass man
Interessenskonflikte nicht mit Gewalt sondern im Gespräch löst. Diese
Erfahrungen haben mich wie eine Vision durch die ganze Kindheit und
Jugendzeit begleitet. Ich hatte mir geschworen, nur einen Mann zu heiraten,
mit dem ich und meine Kinder über alles reden können.
Wer Gewalt sät, wird Gewalt ernten, sagt das Sprichwort. Das gilt
individuell wie gesellschaftlich. Wir brauchen darum nicht härtere
Massnahmen vielleicht in weni-gen besonderen Einzelfällen. Was aber Not
tut, ist eine Gesprächskultur anstelle der offenen und versteckten (Männer-)
Gewalt, in allen gesellschaftlichen Schichten.
Wir dürfen nicht gleichgültige Zeugen dieser täglichen Gewalt sein und sie
verharm-losen. Wir müssen sie beim Namen nennen als das, was sie ist eine
Verletzung der Menschenwürde und eine Lästerung Gottes.
Denn die biblische Botschaft ist eindeutig: Wer dem Geringen Gewalt tut,
lästert dessen Schöpfer. (Spr 14,31)
Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker niederhalten und die Mächtigen
ihnen Gewalt antun. So soll es nicht sein unter euch, sondern wer unter euch
gross sein will, der sei euer Diener. (Mt 20,25f)
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Hauptbahnhof Zürich
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